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Herzliche Grüße,

Norbert Schreiber

Das Versagen, und die VERSAGER

Als Putin im Februar 2022 die Ukraine angreift, steht die Welt unter Schock. Dabei ist dieser Krieg von Geheimdiensten präzise vorausgesagt worden. In einer aufsehenerregenden Recherche enthüllen Katja Gloger und Georg Mascolo, wie die Verantwortlichen über Jahrzehnte Warnungen ignorierten und kritische Stimmen in der deutschen Russlandpolitik ausblendeten. 


Anhand von zahlreichen Geheimdokumenten und Gesprächen mit Dutzenden Zeitzeugen erzählen sie eine atemberaubende Geschichte: über die wahren Hintergründe der umjubelten Putin-Rede im Bundestag und einen Back Channel in den Kreml, der im früheren Leben Stasi-Spion war. Über ein Geheimdossier des Auswärtigen Amts, das schon 2007 einen bewaffneten Konflikt um die Krim und den Osten der Ukraine beschreibt – und im Archiv landet. Sie offenbaren die Details einer unerklärlich engen militärischen Zusammenarbeit – und warum Putins nukleare Drohungen einen Bundeskanzler um die halbe Welt reisen lassen. ULLSTEIN


Man hätte das Buch auch gut und gerne anders nennen können, statt DAS VERSAGEN, genauer: DIE VERSAGER! Das Autoren-Paar, im Privatleben miteinander verheiratet, listet in seinem Buch eine hoch spannende, gut recherchierte, ausgezeichnet geschriebene Geschichte des Versagens und der Versager auf. Warum wollte niemand sehen, wer Genosse Putin wirklich war und wie er wirkte? Erstens vernebelte uns das russische Billiggas die Hirne, zweitens umgarnte Putin mit seinem KGB-Charme die westlichen Eliten mit List und Geld, drittens hatte die Russlandpolitik grundsätzlich ein Wahrnehmungsproblem, viertens wollte niemand die Krim-Invasion härter beantworten, fünftes tat Angela Merkel, was sie gerne tat, eben nichts, fünftens wollte die SPD immer noch die „Friedens-Dividende“ einheimsen, obwohl längst konkrete Putin’sche Kriegstreibereien im Gang waren. 


Aber der Reihe nach: 


Das Buch ist da besonders spannend, wo aus Geheimpapieren zitiert wird, die immer noch unter Verschluss sind, da wo Augen- und Ohrenzeugen den Mund aufmachen, den sie vielleicht andernorts gehalten haben, da wo das Buch geradezu kleinteilig präzise in die Details geht, ohne im Text die Spannungsbögen zu verlieren. 


Ausgehend von Putins Satz im Reichstag „Russland ist ein freundlich gesinntes europäisches Land“ entzaubert das Autorenpaar von Seite zu Seite (es sind 496 Seiten) die GORBI-Euphorie bis zum Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Träume und Traumata der unrealistischen deutschen Russland Politik. Wir blicken mit dem beiden Journalisten hinter die Kulissen und erfahren, dass die Reichstagsrede von Putin ausreichend gefüttert und angereichert wurde von westlicher Seite. Teltschik und Co gaben dem Präsidenten der Russischen Föderation zahlreiche Hinweise, was man im Bundestag von dem Redner erwarten würde, da reichte der direkte Draht in den Kreml nicht aus, persönliche Gespräche von Gesicht zu Gesicht wurden bevorzugt. Ergebnis: An den Problemen selbst mitgestrickt. 


Übrigens, wenn Putin ungeduldig wird, sehr oft passiert das, wechselt er von der russischen Sprache ins Deutsche, dann doziert er gerne, Putin hört nicht gerne zu, heißt es. Dialogunfähig?


Spannend auch, dass die Autoren den Dialog zwischen Scholz und Putin vor Kriegsbeginn genauestens nachzeichnen. Schulz fragt nach militärischen Maßnahmen, Putin bleibt vage: „Das hängt von der Lage ab“.  Scholz zeigt seine Besorgnis und fragt: „Wie soll es weitergehen?“  Putin lügt mal wieder und sagt: „Dialog ist aber möglich, wir wollen keine Kampfhandlungen.“  Scholz zeigt sich enttäuscht und sagt: „Kampfhandlungen gilt es zu verhindern“, das sei ein brenzliger Moment. Putin retourniert: „Ich teile Ihre Besorgnis, wir bleiben in Kontakt“.  Da haben wir ihn wieder den „Täuscher“.  


Dass in Russland der Geheimdienst die Macht übernommen hatte, wurde geflissentlich übersehen, die NGO s wurden nach und nach als Agenten diffamiert und verbotenen - auch Memorial. Die Repressionen nahmen von Jahr zu Jahr zu.  


Während in Deutschland sich noch niemand traute, Putin einen Autokraten, geschweige denn einen Diktator zu nennen, notierten Verfassungsschützer schon 1999, Putin bediene Vorurteile und Argumentationslinien aus den schlimmsten Zeiten. Putins Haltungen und Einstellungen seien gekennzeichnet durch: Großrussentum, Nationalismus, Zynismus.  Ein Berufsdiplomat notiert zu Putin “hochintelligent, hart, skrupellos, kalter, entschlossener Operateur.“  
Ein Botschaftsmitarbeiter diagnostiziert: alle Indizien sprechen dafür, dass uns Putin sehr früh getäuscht hat und sich viele von ihm täuschen ließen. Besser kann man es nicht zusammenfassen. 


Rüdiger von Fritsch, ehemaliger Botschafter in Moskau, sagt Putin fixiere seine Gegenüber, seine Ausführungen würden schneidend, anklagend, scharf bis hin zu groben Äußerungen.

 

Verfassungsschutz und BND wissen schon früh von Beeinflussungsaktivitäten, die darauf abzielen, Uneinigkeit innerhalb der EU und Deutschland zu schüren, damit die Machtpositionen zu schwächen und zugleich die Bindung zwischen der EU und den USA im Hinblick auf die NATO zu schwächen. Schon im KGB gab es die Bezeichnung für die westlichen Beeinflussten, sie seien „nützliche Idioten“. 


Die falsche Einschätzung war, dass sich Russland eben seine geopolitischen Machtansprüche nicht durch die Gasgeschäfte würde abkaufen lassen. Der Grundgedanke, politischer Wandel sei konstruierbar durch ökonomische Integration, gilt inzwischen als das größte außenpolitische Versagen der Bundesrepublik Deutschland. 


Während Frau Merkel Irrtümer nicht eingestehen will, sagte Wolfgang Schäuble:  „Ich lag falsch, wir alle lagen falsch, wir wollten es nicht sehen“,  auch Sigmar Gabriel tritt mit „mea culpa“-Attitüde  auf,  Steinmeier auch etwas selbstkritisch, von Frau Schwesig hört man wenig, und auch die Wirtschaftsmagnaten der Bundesrepublik hüllen sich in Schweigen - gasbetäubt.


Dass das Thema Nord Stream 2 die westliche Allianz, aber auch die osteuropäischen Partner total irritiert hat, wird minutiös aufgelistet. 
In Moskau hatte Putin mit dem Ehepaar Schröder eine historische Schlittenfahrt unternommen, so fährt man später mit der ganzen deutschen Politik sinnbildlich „wieder Schlitten“.


In den Schlusspassagen des Buches wird diskutiert, ob eine frühere, bessere, fundiertere militärische Ausstattung der Ukraine den Krieg vielleicht von Anfang an hätte verhindern oder verkürzen können, da werden die Positionen dazu zwar aufgeschrieben, aber die Autoren trauen sich dazu ein eigenes Urteil nicht zu.


Im Buch kommt der Bürgermeister Werner Schulz zu Wort:  Der frühere DDR - Bürgerrechtler Werner Schulz, der in einem offenen Brief gesagt hatte, deutsche Politiker hätten Putin wie einen „Enkel Gorbatschows“ gefeiert, ihn aber nicht als „Ziehsohn des KGB“ erkannt. 
Werner Schulz war schon anlässlich von Putins Rede im Deutschen Bundestag aufgefallen, weil er harte Kritik übte, indem er eine Verleihung eines Ordens an Putin kritisierte: „Da wird in purem Gold der Diamantschliff für den von Gerhard Schröder so gelobten lupenreinen Demokraten überreicht“


 Ich beschließe hier meine Rezension mit dem Schlusssatz:  Ein großartiges Buch, eine fundierte Recherche, ein exemplarisches Beispiel für investigativen Journalismus!

 

Katja Gloger/Georg Mascolo DAS VERSAGEN Eine investigative Geschichte der deutschen Russlandpolitik

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Doch um der historischen Genauigkeit Willen, möchte ich an dieser Stelle einige persönliche Bemerkungen hinzufügen, die ich sonst immer versuche, zu vermeiden.  


Ich zitiere hier eine ganze Reihe von Autoren aus meinem 2008 erschienen Buch „Norbert Schreiber RUSSLAND Der Kaukasische Teufelskreis oder die lupenreine Demokratie WIESER Verlag Klagenfurt“ und „Anna Politkowskaja Chronik eines angekündigten Todes“, 2007 erschienen. Warum tue ich das, weil es mehr Warner gab als Werner Schulz! Und das schon 2007! 


Im Zuge des Vorschlags, die in Russland ermordete Journalistin mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels posthum  auszuzeichnen, unterlag mein Vorschlag bei der Abstimmung mit 49 zu 51.  Sie bekam jedoch danach auf unseren Antrag hin den Geschwister-Scholl-Preis in München verliehen.


 Im Zuge dieser öffentlichen Debatte, wurden die Bedingungen in Russland in der Presse auch ausführlich debattiert. 
Allerdings warte ich heute noch auf die Reaktion von „Reporter ohne Grenzen“, bei denen ich angefragt habe, ob sie einen Beitrag zu dieser öffentlichen Debatte leisten könnten. 


Die Journalisten-Kollegen der „alten Schule“ Ruge, Pleitgen, Neudeck, Sager unterstützten den Vorschlag übrigens. Auch öffentlich! Inzwischen ist Katja Gloger, Vorsitzende dieses Vereins. Da wäre vielleicht auch etwas aufzuarbeiten.


In dem Buch „Putins lupenreine Demokratie“ schreibt die Historikerin Margareta Mommsen, schon früh erkennend, von den 70 Prozent Geheimdienstlern in den Institutionen der russischen Politik.

 

Ja es stimmt: wir haben alle weggesehen, aber nicht wirklich alle, das sei um der historischen Wahrheit willen und nicht wegen irgendwelcher Eitelkeiten gesagt. Leider steht in dem Buch von Mascolo und Gloger davon nichts. Die Investigation hätte noch weiter genauer zurückgehen müssen, lange vor die Kriminvasion. Anfangs der 2000er Jahre!


Als der Krieg im Gang war, habe ich das pdf-Manuskript beider Bücher an 60 Redaktionen von Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen, Talkshows und Korrespondenten verschickt, um dem Eindruck entgegenzutreten, es habe keine Warner gegeben. Nicht eine einzige Reaktion. Auch die Presse wird einiges aufzuarbeiten haben. 


VITA


Katja Gloger, geboren 1960 in Koblenz, beschäftigt sich seit über 25 Jahren mit Russland. Sie studierte Russische Geschichte, Politik und Slawistik in Hamburg und Moskau und war Korrespondentin des "Stern" in Moskau und den USA. Heute arbeitet sie als Autorin des "Stern" in Hamburg. 

 

Georg Mascolo, geboren 1964 in Stadthagen, ist ein deutsch-italienischer Journalist und Publizist. Er war von 2008 bis 2013 Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Von 2014 bis 2022 leitete er den neu geschaffenen Rechercheverbund des NDR, des WDR und der Süddeutschen Zeitung. Außerdem war er für die ARD als Terrorismusexperte tätig.

 

Stimmen zum Buch

 

»Eine umfassende kritische Aufarbeitung der deutschen Russlandpolitik der letzten Jahrzehnte war überfällig. Das Versagen füllt die Lücke in brillanter Weise. Das Buch von Russlandexpertin Katja Gloger und ihrem Ehemann, Ex Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo, ist die absolute Muss-Lektüre für jeden, der sich für die hoffnungsvollen Zielsetzungen, Illusionen und idealistischen Irrwege unserer Außenpolitik interessiert.« 

Wolfgang Ischinger, Vorsitzender des Stiftungsrates der Münchner Sicherheitskonferenz, ehemaliger Staatssekretär im Auswärtigen Amt und Botschafter in Washington und London

 

»Brillant recherchiert. Spannend erzählt. Dokument einer kollektiven Verdrängung.«
Thomas Roth, Journalist, langjähriger ARD-Korrespondent in Moskau und New York, Moderator der Tagesthemen

 

»Ein fantastisches Buch.« 
Carlo Masala

 

»Ein Buch, das überfällig war – und soviel Neues enthüllt, wie kolossal das Versagen deutscher Russlandpolitik wirklich war. Katja Gloger und Georg Mascolo haben jahrelang recherchiert und offenbaren in allen Details, was seit Gerhard Schröder bis zur russischen Vollinvasion der Ukraine nicht gesehen werden wollte, obwohl es soviele Warnungen gab. Ein fesselndes Werk von Autoren, die sich auskennen, exklusive Zugänge haben und es großartig aufgeschrieben haben.«  Paul Ronzheimer

 

Selten war ein Buchtitel treffender – und mit „Das Versagen“ sind Pleiten, Pech und Pannen der deutschen Russlandpolitik der vergangenen, man muss schon sagen Jahrzehnte, fast noch milde umschrieben. Speziell, wenn man an die Konsequenzen denkt. Das, was Katja Gloger und Georg Mascolo hier zusammengetragen, kenntnisreich analysiert und aus vielen, teils bisher nicht oder wenig bekannten Quellen recherchiert haben, ist ein eindrucksvoller Beleg dafür, wie vorausschauende Politik nicht aussehen darf.  THE EURPEAN

 

DOKUMENTATION:


Aus einem Gespräch von Norbert Schreiber mit Anna Politkowskaja 2005 geführt 

 

„Was erwarten Sie in Bezug auf Ihre eigene Person, auch Sie sind ja gefährdet, auch Sie haben Morddrohungen, auch Sie müssen ständig mit einer Gegenwehr des russischen Staates rechnen?

 

Na ja, ich versuche nicht daran zu denken, weil ich ansonsten nicht arbeiten könnte, es wäre unmöglich. Also blende ich diese Gedanken aus und sage, dass ich einfach das Schicksal derjenigen teile, die dafür kämpfen, dass demokratische Prinzipien in Russland endlich installiert werden und das Leben ein demokratisches wird, wobei es möglich ist, dass dieser Kampf nicht gut ausgeht. Aber das ist dann einfach so.“

 

Anna Politkowskaja wurde am Samstag, dem 7. Oktober 2006 gegen 16:03 Uhr im Aufzug ihres Wohnhauses in der Moskauer Lesnaja-Straße durch mehrere Schüsse getötet. Vier Kugeln trafen sie in die Brust, eine in den Kopf, dokumentiert WIKIPEDIA.

 

Inhaltsverzeichnis aus dem Buch über Anna Politkowskaja

 

Einleitung Norbert Schreiber
Leben - Tod – Erinnerung - Chronik eines angekündigten Mordes

 

Anna Politkowskaja Tschetschenien - 
Der Hass wird über die Ufer treten

 

Harald Loch
Der Tschetschenien-Krieg

 

Natalia Liublina David gegen Goliath - 

Anna Stepanowa Politkowskaja - ein Porträt


„Also blende ich diese Gedanken einfach aus …“
Interview mit Anna Politkowskaja auf der Leipziger Buchmesse 2005

 

Irina Scherbakowa Russlands Gedächtnis

Vergangenheitsbewältigung als Beitrag zur Zivilgesellschaft

 

Anna Politkowskaja „Ungenehmigte Trauer“ -
Die Macht und die Menschenrechte 

 

Fritz Pleitgen Mordversuch an Menschenrechten  - 
Bürgergesellschaft in Russland

 

Margareta Mommsen
Gorbatschow - Jelzin - Putin - 
Von Gorbatschows Perestroika zu Putins gelenkter Demokratie

 

Harald Loch 
Russland im Herbst -
Politkowskaja und ihre politische Literatur

 

„Die Personen aus meinem ersten Tschetschenien-Buch sind inzwischen alle tot“ Interview mit Anna Politkowskaja 

 

Rupert Neudeck

Von Wladimir Putin und anderen „lupenreinen Demokraten“ - 
Pressefreiheit in Staaten der Dritten Welt 

 

Andrei Nekrasov 
Das „coole“ Gespenst des Nationalismus geht um - 
Ein Brief aus Russland

 

Anna Politkowskaja
In Kiew kann man Triebe sprießen lassen

 

Fritz Pleitgen, ARD
„Anna Politkowskaja sollte eine internationale Ehrung von hohem Rang posthum erhalten. Das wäre weltweit für Menschen, die sich für die Menschenrechte einsetzen, eine große Ermutigung und darüber hinaus eine dauerhafte Erinnerung an das Lebenswerk von Anna Politkowskaja.“

 

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Nach der Vorstellung meines Buches „Anna Politkowskaja – Chronik eines angekündigten Mordes“ erschienen im Wieser Verlag im Kreisky-Forum in Wien mit den beiden Mitautoren Irina Scherbakowa (Memorial) und Susanne Scholl (ORF) führte ich am darauffolgenden Tag in Ö1 in der Sendung „Von Tag zu Tag“ am 27.3.2007 eine Diskussion über den Tschetschenienkrieg, die bedrohten Menschenrechte, den Mord an Anna Politkowskaja, Putins Energiekrieg, die europäische Nicht-Strategie gegenüber Russland und die Bedrohung durch Terrorismus. Mitdiskutant war der Wiener Politikwissenschaftler Prof. Hans-Georg Heinrich

 


Warner gab es auch in dem Buch. Schon 2008!
Norbert Schreiber RUSSLAND Der Kaukasische Teufelskreis oder die lupenreine Demokratie WIESER Verlag Klagenfurt 2008  

 

Russland hat viele Gesichter. Manche sind versteckt wie die Puppe in der Puppe, in der auch die offenen Fragen verborgen sind. Wohin treibt Russland? Wer wird dieses Land künftig regieren? Entsteht eine neue Diktatur vor der europäischen Tür? Geht das Morden in Tschetschenien weiter? Was ist das politische Erbe der ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja? Geht das Auftragsmorden weiter? Wie erfolgreich ist der Kampf um die Menschenrechte? Was denkt die junge Generation Russlands? Wie verhalten sich die neuen Machthaber auf internationaler Bühne? Muss Deutschland um seine Energieversorgung fürchten? Stirbt die Pressefreiheit in Osteuropa einen langsamen Tod? Journalisten, Politiker und Russlandexperten aus Ost und West antworten. Russland — die „lupenreine Demokratie“. Dieses Buch kann als Lupe benutzt werden.

 

Mit Beiträgen von
Margaretha Mommsen, Joschka Fischer, Eduard Schewardnadse, Irina Scherbakowa, Lutz Güllner, Gerd Koenen, Hans Georg Heinrich, Sergei Kowaljow, Volker Beck, Thomas Roth, Dirk Sager, Susanne Scholl, Boris Reitschuster, Mainat Abdullajewa, Freimut Duve, Igor Safronov, Andreij Nekrasov, Jens Siegert, Erich Follath, Wolfgang Petritsch, Lojze Wieser, Kerstin Holm, Michael Ryklin, Predrag Matvejevic ,Anne Sylvie König, Petra Luisa Meyer, Kreisky-Forum, Ilja Politkowsky, Anna Politkowskaja

 

Aus dem Inhalt: 
„Heute sollte der Westen also angesichts der Wachablöse im Kreml genauer nachfragen und hinschauen, ob in Russland eine lupenreine Demokratie besteht und Putin wirklich als „echter Demokrat“ in welcher Rolle auch immer handelt. Dieses Buch kann demnach als Lupe benutzt werden. Ich empfehle es allen an Russland Interessierten als optisches Hilfsmittel für eine genauere Sicht.  Norbert Schreiber, Literaturredaktion Hessischer Rundfunk Frankfurt am Main

 

„Bei den deutschen Entscheidungsträgern in Wirtschaft und Politik herrscht ein Russlandbild vor, das wie durch einen Weichzeichner verschwommen ist. Allzu sehr prägen wirtschaftspolitische, ressourcenbezogene und sicherheitspolitische Interessen die Wahrnehmung der innenpolitischen Verhältnisse in der Russischen Föderation“ Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen, Berlin
 
„Ohne jeden Zweifel ist Russland, dank der hohen Öl- und Gaspreise, wieder erstarkt und meldet sich als eigenständiger globaler Akteur zurück. Putins Politik ist in Russland populär, was sie deswegen keineswegs richtiger macht.“  Joschka Fischer, Bundesaußenminister 1998 – 2005, Berlin

 

„In dem während der Präsidentschaft Putins entstandenen politischen System koexistieren autokratische und oligarchische Strukturen. Das autokratische Element kommt in der strikten „Vertikale der Macht“, die als Kommandokette vom Präsidenten bis zu den lokalen Behörden und von der Präsidialadministration bis in die Legislative und Judikative reicht, zum Ausdruck. Außerdem sorgen umfassende Kontrollen über politische Parteien, Wahlen, Medien und Nichtregierungsorganisationen dafür, dass die Gesellschaft ebenfalls zur staatlichen Veranstaltung degeneriert.“ Margareta Mommsen, Politikwissenschaftlerin, München

 

„Ein „neues“ Russland und eine „neue“ EU müssen lernen, sich von der Vergangenheit zu verabschieden und ihre Beziehungen auf eine neue Grundlage zu stellen.“ Lutz Güllner, EU-Kommission, Brüssel

 

„Die rasche und in den Augen Moskaus rücksichtslose Erweiterung der EU und insbesondere der NATO bis vor die Tore Russlands, die offene Unterstützung der Farbrevolutionen in der Ukraine und Georgien durch den Westen oder die Pläne Washingtons zur Errichtung von Raketenabwehrstützpunkten in Polen und der Tschechischen Republik tragen allesamt zur idée fixe des Kreml bei, Russland würde – sollte es nicht hier und jetzt reagieren – für alle Zeiten auf den Status einer drittrangigen Macht zurückfallen.“ Wolfgang Petritsch, Wien

 

 „Und während die Devisenkasse des Kreml auf sagenhafte 272 Milliarden Dollar angeschwollen ist, verfallen elementare Infrastrukturen, soziale Einrichtungen und Bildungsinstitutionen. Russland hat noch immer die mit Abstand niedrigste Lebenserwartung aller entwickelten Länder, und die Bevölkerung schrumpft weiter in dramatischem Tempo.“ Gerd Koenen, Historiker, Frankfurt am Main

 

„Alle Konflikte im Kaukasus - die Brandherde im Nordkaukasus, der Südossetien- und der Abchasien-Konflikt in Georgien, der Konflikt um Berg-Karabach - sind über die darin eingebundenen Großmächte (Russland, die EU und die USA) miteinander verknüpft. Die dadurch ausgelösten Flüchtlings- und Migrationswellen trugen zur Verschärfung der Spannung in der Region bei und machten das Problem auch zu einem direkt europäischen. Die Lösung des „kaukasischen Teufelskreises“ liegt in vielen Händen. Verteufelungen mögen zwar hie und da politisch vorteilhaft erscheinen, helfen aber mit, Konflikte zu verewigen.“ Georg Heinrich, Politikwissenschaftler Wien

 

„Eine Art antiwestlicher Grundton hat sich eingeschlichen. Mal offener, mal versteckter. Mal ernster, mal weniger ernst. Aber er ist auf eine Weise da, wie ich ihn früher nicht kannte. Dass er vom Kreml so befeuert wird, ist jeden Tag in allen Fernsehsendern zu sehen, und von Putin, nun ja auch im Ausland, zu vernehmen.“ Thomas Roth, ARD Moskau

 

„Die Natur der Geheimdienste besteht darin, zu bewahren, was ist, und alles zu kontrollieren. Konkret: Geheimdienstleute sind nicht diejenigen, die Visionen haben, um etwas zu entwickeln oder Reformen durchsetzen zu können.“ Susanne Scholl, ORF Wien/Moskau

 

„Es gibt Punks (die etwas out sind und Skinheads (die leider nicht so out sind), Goths und Rockfans, Rapper und Graffitisprayer, Gläubige und Ungläubige, Rechte, Linke und Liberale, Kiffer und Abstinenzler, Skateboarder, Fußballfans und Computernerds und viele andere mehr.“ Jens Siegert, Heinrich Böll Stiftung Moskau

 

„Auch die Obrigkeit, die sich nach und nach vom westlichen Demokratiemodell entfernte auf der Suche nach einem ‚eigenen’ Weg und vor allem einer nationalen Idee, wandte sich Mitte der 1990er Jahre immer mehr alten sowjetischen Mythen und alten Propagandaidealen zu.“ Irina Scherbakowa, MEMORIAL Moskau

 

„Die Gasprom-Story hat Helden und Halunken; sie spielt in den überheizten Politiker-Hinterzimmern von Moskau wie in der Eiseskälte von Sibirien, in den von Erpressung bedrohten Pipeline-Transitländern Ukraine, Weißrussland und Armenien, „auf Schalke“ im Ruhrgebiet der Malocher, wie auch im Schweizer Millionärssteuerparadies Zug und in Sotschi am Schwarzen Meer, Putins zweiter Sehnsuchtsstadt, wo er mit den ebenfalls von Gasprom finanzierten Olympischen Spielen sein Lebenswerk krönen will.“ Erich Follath/Matthias Schepp DER SPIEGEL

 

„Ich werde nie glauben, dass die Herren Schröder und Chirac, die die besten Freunde von Putin sind, nicht wissen, was Putin in Tschetschenien gemacht hat. Ich werde das nie glauben. Für mich persönlich sind sie viel schlimmer als Putin, weil Putin aus Rachegefühlen oder aus bestimmten Interessen heraus handelt. Er trägt nicht diese Maske von Demokratie oder von Menschenrechten vor sich her. Die, die sich hier in Europa als Demokraten und Führer von demokratischen Ländern positionieren, küssen ihn, geben ihm die Hand, helfen oder halfen ihm, Tschetschenien zu vernichten. Die halfen ihm auch, mich zu verfolgen. Dass ich nicht getötet wurde, ist eine Frage des Zufalls.“ Maynat Abdullajewa, sie lebt in einer deutschen Stadt inkognito im Exil 

„Es gibt keine Sicherheitsmaßnahmen, die man ergreifen könnte, wenn die Machtgruppen einmal beschlossen haben, jemanden zu töten. Da kann man auch 100 Bodyguards beschäftigen, es würde nicht helfen.“ Yuri Safronov, „Nowaja Gaseta“ Moskau

 

„Ich glaube, dass die Beteiligten an dem Mord sitzen werden - ich bin mir sicher. Ich glaube auch daran, dass der Auftraggeber sitzen wird, aber sicher bin ich mir darüber nicht. Ich möchte daran glauben, dass er ermittelt wird und ins Gefängnis kommt.“
Ilja Politkowski Sohn der ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja, Moskau

"Der Alte"

Unter den Kanzlern der Bundesrepublik Deutschland ragt Konrad Adenauer heraus. Er ist es, der nach NS-Diktatur, Zweitem Weltkrieg und Holocaust 1949 die erste Bundesregierung bilden kann und die von außen gestiftete Demokratie im Westen verankert. Damit legt er die Fundamente einer Erfolgsgeschichte, die den Westdeutschen auf Jahrzehnte hinaus Wohlstand und Frieden beschert. C.H.Beck

 

Er ist der Kanzler, der seine Rosen pflegt, in der Freizeit einen Strohhut trägt, die Bocciakugel schiebt, in Cadenabbia Italienurlaub genießt, von den „Soofffjetz“ kölnert, wenn er die Kommunisten meint. 


Seine Leistungsbilanz, im Positiven wie Negativen: die geförderte Rückkehr der Deutschen in die Weltgemeinschaft, Variante WEST, Teilnahme an der europäischen Zukunftsperspektive, Heimholung der Kriegsgefangenen aus Russland, Stabilisierung der Wirtschaft, innenpolitische Schärfe und bösartige Töne und Skrupellosigkeiten gegenüber den politischen Konkurrenten, auch deren Ausspähung, Beschäftigung von Ehedem-Nazis in Regierungsämtern. 
Frei zeigt den schnellen Weg Adenauers vom Oberbürgermeister Kölns über die Präsidentschaft im Parlamentarischen Rat bis zum ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. 


Frei hat einen frischen Blick auf die politische Figur, schreibt pointiert und journalistisch fein über seinen wissenschaftlichen Gegenstand. Es macht eine Freude dieses Buch zu verschlingen, denn Frei kann etwas, was Historikern oft fremd ist: die Kürze und damit die Würze zu finden. 
Der Bundeskanzler galt nicht gerade als ein Mann mit überragendem ökonomischem Sachverstand. Dafür hatte er später einen gewissen Ludwig Erhard. Er hatte auch weniger bekannte physische Schwächen. Etwa die Nachwirkungen einer schweren Kopfverletzung, die er bei einem Unfall, verursacht durch seinen Fahrer, erlitten hatte. Wenig bekannt. Es sind solche Details, die Freis Biografie zusätzlich würzen. Zugleich kämpfte Adenauer in all den Jahren energisch für seine Versorgungsbezüge? 


Frei zeigt uns vor allem den Neuanfang der Bundesrepublik nach 1945.

Einem Gestapo- Beamten nimmt Adenauer einen bronzenen Leuchter weg, den er auf seinem Schreibtisch postiert. Er soll ihn an das Leid, an das Unrecht erinnern. Adenauer: „Er mahnt mich.“


Seine Frau litt an einer sehr seltenen Knochenmarkserkrankung. 
Das sind alles Bemerkungen des Autors, die neben den historischen Tatsachen, Fakten und Zusammenhängen stehen und wie beiläufig erwähnt werden, aber dem ganzen wissenschaftlichen Werk die Farbe geben. 


Übrigens sprach Adenauer nicht einmal gut Englisch. 
Spiegel Herausgeber Rudolf Augstein erkennt schon früh, dass dieser Mann die beste Aussicht hat, Staatspräsident des neuen, amerikanisch inspirierten westdeutschen Staates zu werden. Als Präsident des Parlamentarischen Rates war er sozusagen privilegiert, der Sprecher der werdenden Bundesrepublik zu sein. 


Über das Provisorium Bonn, die Koalitionsbildungen nach mehreren Wahlen und einer temporeichen Darstellung der Leistungen des Kanzlers und sein Verhältnis zu anderen Personen und politischen Institutionen, lesen wir über Sicherheit und Souveränität, die Personalpolitik von Adenauer, die Anzeichen einer Kanzlerdemokratie, denn die Politik bedeutete für Adenauer Führung. 


In einem schwarz-weißen Bilderteil illustriert der Autor seine Ausführungen. Dabei ist interessant, dass der Kanzler sich als „zurück auf der Weltbühne“ empfinden durfte, weil er schon 1954 auf das Cover der Wochenzeitschrift Time durfte. 


Ausführlich beschreibt Frei, wie es dem Kanzler gelang mit einem abhörsicheren Spezialwaggon nach Moskau zu fahren und dort die Kriegsgefangenen heimzuholen. Trotz Westverankerung. 
Spannend zu lesen auch die medienpolitischen Machenschaften des Kanzlers, der schlicht davon ausgeht, dass an der Spitze einer Nachrichtenagentur des Landes ein Mann stehen müsse. (!!!) Ein Mann also, keine Frau, ein Mann, der das Vertrauen des Kanzlers habe. Presse als kritisches Organ bleibt ihm fremd. Sein Verständnis von Medien ist eher von propagandistischen Gedankengängen geprägt.


Dass die West Orientierung nur um den Preis der Nicht-Lösung der deutschen Frage zu haben war, wird ausführlich behandelt. Frei schließt ab mit der „Kanzlerdämmerung“ beschließt sein Portrait mit dem Satz Augsteins, dass „Adenauer“ ein ganz großer Häuptling war. Nicht nur wegen seines Indianer-Gesichtes. Führungsstärke gehört eben auch dazu. Und ich füge hinzu, die Fähigkeit gegen den Gegner Pfeile abzuschießen. Der Autor Frei ergänzt,   wichtig sei eben auch dessen Engagement für Europa gewesen. Beides, europapolitisches Engagement, aber auch Führungsstärke, seien heute so nötig wie zu Adenauers Zeiten.


Norbert Frei ist Professor em. für Neuere und Neueste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Autor der Standardwerke «Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit» (2012) und «Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945» (2013).
 

Norbert Frei KONRAD ADENAUER Der Kanzler nach der Katastrophe Biographie C.H. Beck

 

Pressestimmen


„Eine neue, profunde Darstellung“
Sachbuch-Bestenliste von WELT, NZZ, RBB Kultur und Radio Österreich 1 im November 2025

 

„eleganter Essay ... erhellende Einsichten aus der Zeit des Nationalsozialismus.“
Süddeutsche Zeitung, Florian Keisinger

 

„Schildert Leben und Leistung Adenauers aus der Perspektive der Gegenwart“
Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide, Christoph Arens

 

„Ein exzellentes politisches Porträt über Konrad Adenauer ... Wer verstehen will, wie wir wurden, was wir sind, sollte dieses Buch lesen.“
Frankfurter Rundschau, Michael Hesse

 

„Norbert Frei ist nicht nur ein sehr erfahrener Forscher, sondern er ist auch sehr erfahren darin, Forschen und Erzählen zu verbinden.“
Deutschlandfunk Studio 9, Hans von Trotha

 

„Rückt ... den Mythen um die Moskaureise Adenauers zu Leibe, versagt ‚dem Alten‘ aber keineswegs die Anerkennung.“
Süddeutsche Zeitung, Joachim Käppner

Nazis in Nadelstreifen

Hermann Göring (1893 - 1946), Reichsminister für Luftfahrt und zweiter Mann hinter Hitler, hat wie keine andere NS-Größe Ämter und Machtbefugnisse angehäuft. Andreas Molitor erzählt das Leben eines Machthungrigen, der Gegner kaltblütig ausschaltete, am Holocaust mitwirkte und – von Hitler kaltgestellt – ein bizarres Luxusleben führte. Durch Hermann Görings Leben zieht sich wie ein roter Faden das Streben nach Macht und Geltung, von der Kindheit bis zur Verurteilung beim Nürnberger Kriegsverbrechertribunal und dem Selbstmord in der Gefängniszelle. Seine Grenzen findet Görings Machthunger nur bei Adolf Hitler. Ihm ist er devot ergeben. Nachdem Göring als Oberbefehlshaber der Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg versagt hat und Hitler ihm seine Gunst entzieht, zieht sich Göring auf seinen Landsitz Carinhall zurück, wo ihm Kunstraub, Jagdleidenschaft und dekadenter Luxus weit wichtiger sind als die Angriffe alliierter Bomber. Der pompöse Lebensstil hat zu beschönigenden Deutungen der Rolle Görings im Nationalsozialismus verführt. Andreas Molitor zeigt, dass der selbsternannte «Mann der Tat» mit der «Entjudung der deutschen Wirtschaft» den wirtschaftlichen und sozialen Niedergang der deutschen Juden besiegelt und bei der Vorbereitung des Holocaust eine Hauptrolle gespielt hat. (C.H.Beck)

 

Literaturnobelpreis an Krasznahorkai 

Preise und Nominierungen
László Krasznahorkai erhält den Nobelpreis für Literatur 2025


… da verstummte plötzlich der Psalm, er schloss vor Schmerz und vor Schwindel die Augen und verstand, dass sie in Wahrheit nicht sahen, eher hörten, wie auch er von da an, und von da an alle drei schon blind und auf ewig, wie ruhig, lieblich und glucksend das Wasser ein paar Schritte von ihnen entfernt plätscherte in der auf dem Land lastenden gnadenlosen Nacht.“

 

Keiner hat die Welt so beschrieben wie László Krasznahorkai, nämlich so, wie sie vielen von uns möglicherweise gerade erscheint: Er erzählt, was fehlt. Er erzählt, was fehlt, an Menschlichkeit, an Trost, an das Heile, auch in der Kunst. All das ist verloren gegangen im letzten Jahrhundert, und dieses Fehlen bemerken wir in unserer Gegenwart vielleicht so schmerzhaft, wie schon lange nicht mehr. Und gerade das, dass wir es merken, ist vielleicht der Trost, die leise Hoffnung, die uns bleibt – die jedenfalls das große Werk dieses großen Schriftstellers vorantreibt. Ein Werk, das von seiner Konsequenz getragen wird und von einer leidenschaftlichen Sorge.

 

Passt da das Wort Freude? Denn ja, es ist eine ungeheure Freude. Und was für eine ungeheure Freude das ist, dass László Krasznahorkai in diesem Jahr den Nobelpreis für Literatur bekommt.

 

- Oliver Vogel, Verleger

Herscht 07759

Harald Loch rezensierte vor 4 Jahren das Buch


Wenn kein Deutscher diesen Roman schreibt, muss es ein Ungar tun! Und was für ein literarisches Meisterwerk legt László Krasznahorkai mit seinem „Herscht 07769“ hin! Der Spielort, wenn die mit etlichen Toten belastete Handlung als „Spiel“ bezeichnet werden kann, ist Kana in Thüringen. Er liegt im Roman an der Saale, soll vielleicht an den gleichnamigen biblischen Hochzeitsort erinnern, ist aber doch recht eigentlich die Stadt Kahla. Auch die Postleitzahl im Titel deutet darauf hin. Kahla alias Kana ist berühmt für sein Porzellan und berüchtigt für seine rechtsradikale Szene. Die bildet neben der spießigen Bourgeoisie der Kleinstadt das Milieu dieses großartigen Romans, der so oder auch nur so ähnlich aus deutscher Feder schlecht hätte fließen können. Aber der 1954 in Ungarn geborene, heute in Triest lebende Autor kennt sich an der Saale hellem Strande gut aus, kennt die Orte, die Straßen, die Berge und die Leute dort. Als ob es seine Heimat wäre, die keiner, auch er nicht, lieben kann – außer den Kanaern.


Der Protagonist und einzige Sympathieträger des Romans ist Florian Herscht. Im Heim großgeworden, wird er von einem Kleinunternehmer, dem im Übrigen namenlosen „Boss“ auf dessen Art „adoptiert“, also gegen ein schwarz auf die Hand neben Hartz IV gezahltes Taschengeld in seinem Betrieb aufgenommen. Der reinigt Fassaden, die mit Graffitti „dekoriert“ sind, oft heißt es an den Wänden „Wir kommen“ neben einem Wolfskopf. Der „Boss“ gehört einer rechtsradikalen Gruppe in Kana an, die in der „Burg“ ihre Wolfsschanze hat. Der „Boss“ ist ein verklärter Liebhaber von Johann Sebastian Bach, hat aus Amateuren der lokalen Unterhaltungsmusik die „Kanaer Symphoniker“ zusammengestellt, die es nie schaffen, ein Werk von Bach zur Aufführungsreife einzustudieren und denen Florian anfangs desinteressiert bei den Proben zuhören muss. Später wird er zu einem Liebhaber der Passionen und Kantaten Bachs.
Florian ist ein bärenstarker, einfältiger, herzensguter und vor allem hilfsbereiter Mensch, der bei den Bewohnern Kanas ein immer leicht mitleidiges, gleichwohl hohes Ansehen genießt. Der Autor stellt eine ganze Reihe dieser Mitmenschen sehr differenziert vor, z.B. Herrn Köhler, einen pensionierten Physiklehrer, der an der Volkshochschule über die Entstehung der Welt, den Urknall, über Materie und Antimaterie Kurse abhält, an denen auch Florian teilnimmt. Er missversteht die anspruchsvolle Theorie auf hohem Niveau und gerät in Weltuntergangspanik, in der er wiederholt an Angelika Merkel schreibt. Sie solle im Weltsicherheitsrat auf die Gefahren hinweisen. Wenn er auf der Post seine Briefe an die Bundeskanzlerin aufgibt – immer mit der Absenderangabe „Herscht 07769 – wird er belächelt. Alle Versuche, ihm das auszutreiben, scheitern. Die Erwartung einer Antwort geht nicht in Erfüllung, vielleicht am Ende, als alles zu spät ist. Das Motto, das Krasznahorkai über den Roman gesetzt hat, lautet: „Die Hoffnung ist ein Fehler“.


Dieser Roman, der literarisch kostbar in viele kleine erzählerische Nebenstraßen einbiegt und zwischen Plauderton und Hochspannung wechselt, nimmt mit einem Vorfall an der örtlichen ARAL Tankstelle plötzlich Fahrt auf. Die brasilianische Ehefrau des Betreibers wird von einem der Rechtsradikalen vergewaltigt. Der Ehemann erwischt den Verbrecher und wirft ihn mit dem Feuerlöscher kampfunfähig. Zwei Tage später brennt die Tankstelle ab, das brasilianische Ehepaar kommt in den Flammen um. Durch einen vom Autor kunstvoll vorbereiteten Zufall entdeckt Florian, dass der „Boss“ hinter dem Anschlag steckt. Noch in derselben Nacht bringt Florian den „Boss“ und zwei andere Mitglieder der Bande in der „Burg“ um und setzt nach, weil noch einige der Verbrecher am Leben sind. Es entsteht eine rächende Verfolgungsjagt durch Thüringen mit weiteren Toten. Am Ende ist es nur der Einfältige, der als Mörder mit archaischer Konsequenz eine irgendwie richtig erscheinende Gerechtigkeit wiederherstellt. Der Roman handelt von deutschen Ungeheuerlichkeiten, die mit dem Kürzel NSU zu knapp beschrieben sind. Er ist der große Roman über die deutsche Gegenwart – jedenfalls in ihren schlimmen Teilen. Er ist großartige Literatur, nicht nur virtuos, weil er auf über 400 Seiten ohne einen Punkt auskommt. Der Roman selbst ist der Punkt. In seinen fesselnden Dialogen, in denen nicht die Welt erklärt wird, sondern in ihrer Banalität nackt aufscheint, in Florians Nachdenklichkeiten der Einfalt fordert er auch in der sehr schönen Übersetzung von Heike Flemming sein Publikum heraus. Es mag schon stimmen, dass die Hoffnung ein Fehler ist – aber große Literatur gibt immer wieder Hoffnung!


Harald Loch


 László Krasznahorkai: Herscht 07759 Roman
Aus dem Ungarischen von Heike Flemming
S. Fischer, Frankfurt am Main 2021   413 Seiten   26 Euro

 

 

Jedes meiner Bücher soll die literarische Landkarte verschieben«, sagt László Krasznahorkai, dem 2015 der International Man Booker Prize verliehen wurde. 1954 in Gyula/Ungarn geboren, gilt er als einer der innovativsten Schriftsteller Europas, dessen Romane »Satanstango« und »Melancholie des Widerstands« überall auf der Welt begeistert aufgenommen werden. Die internationale Beachtung begann jedoch 1993 in Deutschland mit dem SWR-Bestenliste-Preis für »Melancholie des Widerstands«. In den letzten Jahren erschienen die Erzählbände »Seiobo auf Erden« (Brücke-Berlin-Preis und Literaturpreis Leuk 2010) sowie »Die Welt voran« (2014). Für seinen Roman »Baron Wenckheims Rückkehr« (2018) wurde er mit dem National Book Award 2019 for Translated Literature ausgezeichnet. 2021 erhielt er den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur sowie 2024 den spanischen Literaturpreis Prix Formentor. 2025 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Zuletzt erschienen der Roman »Herscht 07769« und der Erzählband »Im Wahn der Anderen«. Heute lebt László Krasznahorkai in Triest, Italien.

Kompass in der Zeitenwende

Heinrich August Winkler ist einer der bedeutendsten deutschen Zeithistoriker. Er ist aber auch einer der einflussreichsten deutschen Intellektuellen, der die politischen Debatten unseres Landes bis heute prägt. In diesem Buch erinnert er sich an seinen Lebensweg von Königsberg über Süddeutschland nach Berlin, an Begegnungen und Erlebnisse, an Gespräche und Kontroversen, an Irrtümer und Erkenntnisse. Doch es sind keine Memoiren im klassischen Sinne. Es ist ein Rechenschaftsbericht über ein Leben, das der historisch-politischen Selbstaufklärung der Deutschen gewidmet ist. Daher bieten diese Erinnerungen auch etwas, das heute so nötig ist wie lange nicht mehr: einen politisch-moralischen Kompass in den Zeitenwenden unserer Epoche. CHBECK

 

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Gefährdungen der Demokratie durch Autokraten

China, Ungarn oder die USA: Weltweit befinden sich populistische Parteien im Aufschwung – oder autokratische Regime präsentieren sich als das leistungs- und zukunftsfähigere Staatsmodell. Wie ist es den modernen Diktatoren gelungen, sich in so vielen Ländern die Macht zu sichern und eine konkurrenzfähige Wirtschaft aufzubauen – obwohl es doch eine gesicherte Erkenntnis der Ökonomie zu sein schien, dass Innovation und Fortschritt nur in einer freiheitlichen Gesellschaft gedeihen können? Welche Kräfte lähmen die liberalen Demokratien, und wie könnten sie im weltweiten Wettlauf wieder an Boden gewinnen? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des vorliegenden Buches, in dem SPIEGEL-Journalist und Wirtschaftsexperte Michael Sauga eine Nahaufnahme der modernen Alleinherrschaften liefert: ihres Aufstiegs, ihrer Strukturen und Strategien, ihrer Probleme und ihres möglichen Falls. Seine Analyse korrigiert lang gehegte Annahmen über die Entstehung und Beharrungskräfte autokratischer Systeme und ist ein dringender Aufruf, auf die autokratische Herausforderung zu reagieren – und zwar auch mit einer ökonomischen Antwort. DVA

 

Verletzlichkeit-Triumphe-Scheitern-Schuld

 

Ferdinand von Schirach schreibt über die Verletzlichkeit des Menschen, über seine Triumphe und sein Scheitern. Seine Geschichten erzählen von der Gesellschaft, vom Tod und von Verbrechen, von Musik, Film, Malerei und Philosophie. Sie spielen in Berlin, Kapstadt, Rom, Wien und an der Côte d´Azur. Sie berichten von privaten Begegnungen, von historischen Ereignissen und von Persönlichkeiten wie dem Tennisspieler Gottfried von Cramm, dem Architekten Adolf Loos oder dem Wiener Schriftsteller, Schauspieler und Kulturphilosophen Egon Friedell. Und immer wieder erzählt sein neues Buch »Der stille Freund« von Zufällen, die ein Leben unaufhaltsam verändern, von der Unbegreiflichkeit und Großartigkeit des Menschen, von der Unsicherheit des Daseins und der Sehnsucht nach Schutz, Sicherheit und Freiheit.

Das neue Buch bildet zugleich die Grundlage für Ferdinand von Schirachs großes Bühnenprogramm »Der stille Freund«, mit dem er ab Herbst 2026 durch Deutschland, Österreich und die Schweiz auf Tournee geht.


(Luchterhand) 

 

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Annie Ernaux: „Die Besessenheit“

Schreibtisch oder Couch? Bekanntermaßen dienen einige Autoren und Autorinnen ihre Versuche, erfahrenes Leid zu mildern oder zu überwinden Unbekannten an, ihrem Lesepublikum. Das empfiehlt schnell, besser die Couch des Analytikers als den Literatenschreibtisch aufzusuchen und gibt entnervt auf. In seltenen Fällen ist das die falsche Entscheidung. Sonst verpasste z.B. man „Die Besessenheit“ von Annie Ernaux, die selbstkritische Analyse ihrer leidenschaftlichen Eifersucht. Wie in allen ihren autobiografischen Texten ist sie nicht diskret sich selbst gegenüber, schont sie sich nicht. Aber ihr gelingt zugleich der Verweis von ihrem unsäglichen eigenen Leid auf etwas Allgemeineres. Ein vernünftiger Mensch kann verrückt werden, wenn ihn die Eifersucht erfasst, die alle anderen Gedanken verdrängt. Hier ist es die Eifersucht auf eine namenlose neue Geliebte ihres Verflossenen, den sie nur „M“ nennt. In ihrer Miniatur „Der junge Mann“ hatte sie ihn „A“ genannt. Von diesem sehr viel Jüngeren hatte sie sich selbst getrennt, um der Langeweile, dem Überdruss ein Ende zu bereiten. Aber sie halten Kontakt zueinander. Als sie erfährt, dass er zu einer neuen Geliebten gezogen ist, erfasst sie mit voller Wucht die Eifersucht. „Ich will ihn zurückhaben“, bekennt sie sich selbst schmerzhaft. Da „M“ ihr den Namen ihrer Nachfolgerin nicht nennt, versucht sie obsessiv herauszubekommen, wer sie ist, wie sie heißt. Sie verbeißt sich regelrecht in diese Suche, kommt auf die krassesten Ideen, für die sich schämt, verändert ihre Lebensgewohnheiten, um der Gefahr einer Begegnung mit beiden aus dem Weg zu gehen, denkt an nichts anderes.
So weit, so bekannt! Immerhin ist die Intensität der psychischen Entgleisung beispiellos, ebenso die Demaskierung ihrer eigenen sexuellen Gelüste. Wer sich so intensiv wie Annie Ernaux jeden Schutzes entledigt, muss einen anderen Weg einschlagen. Sie schreibt darüber, wählt jedes Wort, jeden Satz genau, wägt nicht mehr nur, was sie von sich preisgibt und schreibt, sondern wie sie das eigentlich Unsagbare ausdrückt. Es entsteht ein schmerzlicher Text von eigener literarischer Schönheit. In Frankreich nennt man ihren Stil „ernausienne“. Den trifft ihre langjährige Übersetzerin Sonja Finck überzeugend. Für ihre Art der Autofiktion erhielt die jetzt 85Jährige 2022 den Literaturnobelpreis. Mit „M“ trifft sie sich noch gelegentlich. „An einem Nachmittag saß ich mit ihm in einem Café … Das Café war alle Cafés in meinem Leben, in denen ich wegen eines Mannes traurig gewesen war. Dieser hier war wie üblich vorsichtig und antwortete ausweichend. Wir verabschiedeten uns an einer Metrostation voneinander. Er würde zu der anderen Frau zurückfahren, in eine Wohnung, die ich nie zu Gesicht bekommen würde, er würde weiter mit ihr zusammenleben, in ihrer Vertrautheit, so wie er zuvor in meiner gelebt hatte. Als ich die Treppe hinunterlief, sagte ich mir immer wieder, das ist doch krank.“


Harald Loch


Annie Ernaux: „Die Besessenheit“
Aus dem Französischen von Sonja Finck
Bibliothek Suhrkamp, Berlin 2025   67 Seiten   

 

Anarchie im Altenheim

Das Alter hat einige Tücken. Aber mit etwas Humor gibt es mehr zu lachen denn je. Mit stolzen 90 Jahren hat Alan Bennett eine quietschvergnügte Komödie über Anarchie im Altersheim geschrieben.
Die Seniorenresidenz Hill Topp hat wahnsinnig viel zu bieten: einmal die Woche trockenen Sherry, Ausflüge zum Flamingo auf dem lokalen Bauernhof und einen Hausmeister, der nicht nur Fenster putzt, sondern auch sexuelle Dienste für alle Geschlechter anbietet. Zähne, Perücken und Gesprächsfäden gehen regelmäßig verloren oder werden in wilde Tauschgeschäfte verwickelt. Dann greift plötzlich das Coronavirus um sich und befördert als Erstes das Personal ins Krankenhaus. Im unbeaufsichtigten Domizil bricht die Anarchie aus – und wenn es die Arthritis zulässt, wird heftig gehüpft und so manches Freudenfeuer entzündet. WAGENBACH

 

 

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ATOM - eine deutsche Raketengeschichte

London zu Beginn des Zweiten Weltkriegs. Eigentlich will Simon Batley nie wieder mit dem britischen Geheimdienst zu tun haben. Jahre zuvor, als Physikstudent in Berlin, arbeitete er ihm zu, naiv und undercover. Das führte zu einer Katastrophe, die Batley nie ganz verstand, auch seine große Liebe zu seiner Kommilitonin Hedi von Treyden endete jäh. Doch der Krieg ändert alles. Agent Batley stößt auf die Spur einer neuen Waffe der Deutschen, von nie gekannter Zerstörungskraft. Bald darauf, instruiert von Niels Bohr und Rudolf Heß, reist er als Spion nach Lissabon – und schließlich ins Dritte Reich. Er will den mysteriösen Hans Kammler aufspüren: Der ist als Chefplaner von unterirdischen Forschungsstätten und geheimen Waffenprogrammen einer der mächtigsten Nazis. Während Batley versucht, vor den Sowjets und den USA an die deutsche Technik und an Kammler zu kommen, folgt er auch einer persönlichen Mission: Er will Hedi wiederfinden und endlich klären, was damals in Berlin geschah. Steffen Kopetzkys Roman erzählt von der Jagd nach der Atomtechnik, der Spur eines Phantoms – und einem Mann, der zwischen Schuld, Liebe und Hoffnung steht. (Rowohlt Berlin)

 

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Wie die Bombe möglich wurde...


Heute geht es wieder um die Bombe. Wie vor 80 Jahren. Anfang August 1945 warfen US-amerikanische Flugzeuge die bislang einzigen in einem Krieg eingesetzten Atombomben auf die beiden japanischen Großstädte Hiroshima und Nagasaki. Der Londoner Zeithistoriker Richard Overy hat in seinem Buch „Hiroshima“ entwickelt, „wie die Atombombe möglich wurde“. Es geht um Militärgeschichte der letzten Zeit des pazifischen Teils des Zweiten Weltkriege, es geht um die rund um die Uhr arbeitenden Nuklearphysiker und -techniker, es geht um Weltpolitik zwischen Washington, London und Moskau und es geht um Japan und seine Menschen. Vor allem aber geht es um das amerikanische Narrativ, die beiden Atombomben hätten zur Kapitulation Japans geführt und den Tod Hunderttausender amerikanischer Soldaten verhindert. Overy bezweifelt dieses moralische grüne Licht für das Auslöschen von mehr als 200 000 japanischer Leben. Er führt dafür gute Gründe sowohl aus der zuvor bereits erfolgten Eskalation des amerikanischen Luftkriegs gegen japanische Städte mit ähnlich verheerenden Opferzahlen an als auch aus der ebenfalls vor dieser atomaren Steigerung des Krieges bei Kaiser Hirohito erkennbaren und in einem Teil seiner Entourage diskutierten Bereitschaft zur „Beendigung“ des Krieges, wie die stolze japanische Terminologie die von den Alliierten verlangte bedingungslose Kapitulation umschrieb.


Japan durch eine Invasion mit Bodentruppen zu besiegen, schien aus logistischen Gründen wegen der weiten Entfernung zum Mutterland keine Option. Deshalb konzentrierte sich ab 1944 die amerikanische Strategie auf massive Bombardements dichtbesiedelter Städte. Dazu musste zunächst ein Langstreckenbomber entwickelt und in großer Stückzahl produziert werden und mussten Inseln erobert werden, von denen die Bomber starten und auch wieder zurückkehren konnten. Als diese Voraussetzungen geschaffen waren, unterblieben gezielte Bombardierungen von Industrieanlagen und Verkehrswegen, die die japanische Kriegswirtschaft massiv gestört hätten. Es ging nur noch um die Zerstörung der Verteidigungsmoral durch Flächenbombardements von Wohnquartieren mit Brandbomben (Napalm). Der britische Luftkrieg gegen deutsche Städte wurde dazu von den Verbündeten ausgewertet. Die Leichtbauweise der japanischen Häuser und die hochverdichtete Besiedlung schienen wie eine Einladung zu ihrer Vernichtung. Selten aufkommende moralische oder gar völkerrechtliche Bedenken gegen eine Kriegführung gegen Zivilisten wurden mit dem Argument, die japanische Rüstungsindustrie sei sehr kleinteilig mitten in diese Wohnviertel gestreut, also handele es sich um militärische Ziele. Das gelte auch, weil die dort wohnenden Arbeiter der Rüstungsbetriebe ebenfalls militärische Ziele seien. Die Schwelle zur atomaren Eskalation war längst niedrig geworden. Napalm bereitete Uran und Plutonium vor. Die gleichen Behauptungen wie zu den Flächenbombardements wurden auch zur Rechtfertigung der in Amerika bejubelten Atombombenabwürfe aufgestellt und bis heute wiederholt.


Der größte Angriff erfolgte Monate vor den Atombomben und zerstörte ganze Stadtviertel Tokyos restlos. Overy beschreibt die Auswertungen der Angriffe, in denen es immer nur Flächen von vielen Quadratkilometern ging, in denen es kein Überleben gab. Den von Japan daraufhin angeordneten Evakuierungen in ländliche Gegenden folgten die Bomber dann gnadenlos. Die Leidensfähigkeit der Bevölkerung schien einigen japanischen Verantwortlichen an Grenzen gekommen zu sein. Sie warnten vor Unruhen, gar kommunistischen Aufständen und ließen Zweifel am Sinn der Fortsetzung des Krieges aufkommen. Der Kaiser war längst bereit, Frieden zu schließen, wenn nur die Monarchie und ihre jahrtausendealte Tradition erhalten blieb. Overy erörtert auch, ob die etwa gleichzeitig mit den Atombomben erfolgte Kriegserklärung der bis dahin neutralen Sowjetunion zu der – nicht ganz bedingungslosen – Kapitulation Japans beigetragen hat.
Der damals achtzehnjährige Überlebender von Hiroshima Hisachi Tôhara hat ein Jahr danach seine Erlebnisse und auch seine komplizierte Flucht vor dem Verderben in einem nicht zur Veröffentlichung gedachten Tagebuch beschrieben. Die eindrückliche Wucht dieses privaten Textes hat viele Jahr später seine Witwe bewogen, ihn zu veröffentlichen, um die Leser zu Vernunft zu bewegen. Er sei hier aus dem gleichen Grund annotiert.

 

Harald Loch

 

Richard Overy: Hiroshima   Wie die Bombe möglich wurde
Aus dem Englischen von Henning Thies
Rowohlt Berlin, 2025   239 Seiten   24 Euro
 
Außerdem:
Hisashi Tôhara: Hiroschioma   Eine Stimme aus der Hölle
Aus dem Japanischen von Daniel Jurjew und Anika Koide
Weidle/Wallstein, Göttingen 2025   64 Seiten   16 Euro

GRU - der Militärgeheimdienst Russlands

Das Buch stellt erstmals für einen breiten Leserkreis die Geschichte der GRU von ihrer Gründung 1918 bis heute dar. Matthias Uhl kann dabei auf Dokumente aus dem legendären Archiv des Militärgeheimdienstes zurückgreifen. Zudem lüftet er die Identität des GRU-Agenten »Murat«, der Moskau in den 1950er und 1960er Jahren Hunderte streng geheime Unterlagen aus dem NATO-Hauptquartier geliefert hat. Und er beleuchtet Operationen und Spionageaktionen während des Kalten Krieges und des heutigen Russlands – bis hin zu Mordanschlägen in Westeuropa sowie zum Einsatz der GRU bei der Besetzung der Krim und im Ukraine-Krieg. Verlag Wbg THEISS


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Wasser - das neue Gold?

 

Wir leben auf heißen Pflastern: Superelement Wasser effizient nutzen

In diesem Buch geht es um die wichtigste Ressource unserer Erde: Wasser! Und zwar, weil es der Schlüssel der Natur ist und in Gärten, auf land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken, in Siedlungsräumen und generell auf Landschaftsniveau besondere Beachtung verdient. Gerade die immer häufiger auftretenden Wetterextreme, die dazu führen, dass Wasser oft entweder Mangelware oder Überfluss vorhanden ist, zwingen uns, das Thema genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn: Wasser ist zwar für uns alle lebensnotwendig, doch es kann auch zum Problem werden, z. B. wenn es vom Boden nicht mehr aufgenommen werden kann, weil viele Flächen so stark baulich verändert wurden.
Und genau hier setzt die Autorin Sigrid Drage mit ihrem Buch an: bei der Gestaltung von Flächen. Ob dem eigenen kleinen oder größeren Garten, den Grünflächen in der Gemeinde oder auch auf größeren landwirtschaftlichen Flächen: Wir müssen uns um ein funktionierendes Wassermanagement kümmern. (LÖWENZAHN)

 

Gleich vorneweg ein überzeugendes, attraktiv aufgemachtes, vielfarbiges, unglaublich informatives Buch. Über eines unserer drängendsten Probleme, denn Wasser wird knapp und Wasser wird immer teurer. Die Autorin geht grundlegend davon aus, dass vom Element Wasser alles abhängt. Sie führt uns dann in das Thema Gartenlandschaft und Kreisläufe ein.  Die Wasserkreisläufe sind hochsensibel und schnell zerstört. Die Autorin plädiert für ein dynamisches Gleichgewicht durch Permakultur. Was ist das? Es geht darum, in der Zukunft robuste und angepasste Landschaften und Lebensräume zu erhalten. Die Permakultur nimmt sich natürliche Ökosysteme als Vorbild, zum Beispiel Wälder, in denen hohe Produktivität mit Vielfalt einhergeht. Das System kann sich aus eigener Kraft erhalten und ernährt dabei eine Vielfalt von Lebewesen. In einem Glossar werden die wichtigsten Begriffe in aller Kürze erklärt, so dass auch der Nicht-Biologe, weiß worum es geht. Das Buch müsste allen Gärtnerinnen und Gärtnern auf den Nachttisch gelegt werden, übrigens aber auch ein wunderbares Geburtstagsgeschenk für Menschen, die einen grünen Daumen haben oder in entwickeln wollen.
Sigrid Drage Mit allen Wassern gewaschen. Alles über Wasser im Garten, Kreisläufe, Humusaufbau, Wasserspeicher - mit Permakultur zu einer klimafesten Gartengestaltung Löwenzahn

 

Sigrid Drage ist leidenschaftliche Permakulturistin. Die promovierte Ökologin unterrichtet seit 2012 bei der Permakultur-Akademie im Alpenraum und war bis 2022 für den Biodiversitäts-Hof von Sonnentor zuständig, dessen Flächen nach den Prinzipien der Permakultur kultiviert werden. Seit 2023 ist sie Teil eines Gemeinschaftshofes und ist dort für die Permakultur-Landwirtschaft zuständig, die in Teamarbeit durch ein ausgeklügeltes Wasserleitsystem aufgewertet wurde. Ihre Mission? Vielfalt erhalten, nachhaltige Lebensräume schaffen und einen Beitrag für eine lebenswerte Zukunft leisten.

 

Sigrid Drage Mit allen Wassern gewachsen
Alles über Wasser im Garten: Kreisläufe, Humusaufbau, Wasserspeicher - mit Permakultur zu einer klimafesten Gestaltung

Politischer Frühling mit Merz?

Friedrich Merz steht vor gewaltigen Aufgaben. Während Trump und Putin die alte Weltordnung zerstören, droht die AfD die politische Mitte in Deutschland zu sprengen. Der neue Bundeskanzler will ganz anders regieren als die abgewählte Ampel-Koalition. Dabei sind die Herausforderungen, an denen die Ampel krachend gescheitert ist, dieselben geblieben: Wirtschaftskrise, Klimawandel, Migration und Aufrüstung der Bundeswehr. Ist Friedrich Merz, der bislang keine Regierungserfahrung hat und schon angeschlagen sein Amt antritt, seiner Aufgabe gewachsen? Und was muss er aus dem Desaster der Ampel lernen, um die vielleicht letzte Chance zu nutzen, unsere Demokratie vor dem endgültigen Aufstieg der extremen Rechten zu bewahren? In dieser entscheidenden Phase der deutschen Politik erzählt Bestsellerautor Robin Alexander die Geschichte hinter den Kulissen: von Merz‘ Tabubruch mit der AfD und Geheimgesprächen mit Olaf Scholz bis hin zum Drama um das Billion-Schuldenpaket. Ein packend erzähltes Buch, das zeigt, warum die politisch Handelnden in einer zersplitterten Parteienlandschaft und einer aufgeheizten Öffentlichkeit immer weniger imstande sind, die großen Herausforderungen zu bewältigen. (PENGUIN)

 

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Friedrich Merz: Auf der Suche wonach?

Können wir uns auf diesen Kanzler verlassen? DAS Buch, das Merz erklärt

 

Die Republik ist nervös und zerstritten – und sie sieht sich stärker werdenden inneren und äußeren Feinden gegenüber. In einer Zeit, in der autoritäre Regime weltweit an Einfluss gewinnen, sehnen sich viele Menschen nach einem Konservatismus, der sowohl das Land stabilisiert als auch den Autoritären die Stirn bietet. Aber ist der neue Kanzler ein solcher Konservativer? Oder ist auch Friedrich Merz auf dem Weg dahin, alte Gewisseheiten der parlamentarischen Zusammenarbeit zu zerschlagen, um schnelle Antworten auf die geopolitischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit zu liefern? Kann er große Zukunftsthemen vorantreiben, die Europa stärken? Wie geht Merz mit dem Reizthema Migration um - mäßigend oder eskalierend? Und was hat all das mit seinem persönlichen Werdegang zu tun? Niemand kann diese Fragen besser beantworten als Mariam Lau, die Friedrich Merz seit Jahren als Berichterstatterin bei der ZEIT begleitet. 

 

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Wie kann MEMORIAL überleben?

Im Oktober 2022 erhält die Menschenrechtsorganisation MEMORIAL den Friedensnobelpreis. Noch am selben Tag wird die Beschlagnahmung des Büros in Moskau angeordnet. Nach der Razzia prangt überall auf Möbeln und Materialien der Buchstabe «Z»: ein Mahnmal. Der Welt ist das Netzwerk MEMORIAL durch seine beispiellose Aufklärungsarbeit bekannt, Moskau jedoch sieht in ihm vor allem eins: Einen Störfaktor, den es auszuschalten gilt. Es ist nicht der erste Angriff auf das Gedächtnis der Nation, den die Organisation erlebt und erfolgreich abwehrt. Hier schildert sie die Chronik ihrer Kämpfe. C.H.Beck

 

Thomas Mann   Ein Leben

Tilmann Lahme erzählt uns diese Biografie, wie sie noch nie erzählt worden ist: mit neuen Einblicken und unveröffentlichten Quellen, mit unbekannten Tagebuchpassagen und Briefen an den besten Jugendfreund, mit dessen Erinnerungen und mit Susan Sontags nie gedrucktem Essay ›Bei Thomas Mann‹. Damit gibt er uns, worauf wir lange gewartet haben, nämlich endlich den ganzen Thomas Mann.

 

Das Leben zeichnen: Tomi Ungerer

Tomi Ungerer erzählt vom Alltags¬leben im deutsch besetzten Elsass, vom Krieg, von der ›libération‹. Und er erzählt die ganz normalen Streiche und Erlebnisse eines heranwachsenden Buben. Ein un¬gemein lebendiges Erinnerungsbuch.

 

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Zum 75. Geburtstag von Tomi Ungerer

Tomi Ungerer im Gesoräch mit Norbert Schreiber
Anlässlich des 75.Geburtstages interviewte Norbert Schreiber Tomi Ungerer in seinem deutschen Domizil im Schwarzwald
UNgerer-Take.mp3
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Deutschland nach Kriegsende

Das Porträt des Sommers 1945, wie man es noch nie gelesen hat - ein packend erzähltes Geschichtspanorama, schreibt SIEDLER.
In diesem Sommer ist nichts mehr, wie es war: In den vier Monaten von Mai bis September 1945 bricht die alte Welt zusammen, und eine neue tut sich auf. (Siedler)

 

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Der gute Mensch von Offenburg

»Ich hatte ein faszinierendes Leben. Erfüllter und spannender, als ich es mir jemals erträumt hatte. Es gibt kaum etwas, was ich nicht erlebt habe. Ich traf Präsidenten und Ganoven, Freiheitskämpfer und Terroristen, Bettler und Milliardäre, Waffenschieber und Friedensaktivisten. Menschen, die mich hassten, und Menschen, die mich liebten.«


Jürgen Todenhöfer ist einer der ganz wenigen Zeitzeugen, die wichtigste Ereignisse seit dem Zweiten Weltkrieg vor Ort hautnah miterlebt haben. Er nimmt uns mit zu den dramatischsten Krisenherden der Welt. Er erklärt, warum er in Afghanistan, im Kongo oder in Gaza Kindern hilft. Warum er Krankenhäuser, Schulen und Waisenhäuser bauen und Prothesen für Kriegsopfer anfertigen lässt.

 

Neben der fesselnden und sehr persönlichen Lebensgeschichte eines Mannes, der unbeirrt seinen Weg ging, ist dieses Buch eine tiefe persönliche Reflexion über das Streben nach Gerechtigkeit und Glück – getreu seiner Philosophie: Behandle andere so, wie du selbst behandelt werden willst! Und lebe jeden Tag wie ein ganzes Leben!  C.Bertelsmann

 

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Rutschfeste Badematten - im Angebot

Manchmal ist es verdammt nervig was einem passieren kann. Da schickte mir der Autor, in Frankfurt am Main langjähriger Nachbar und Freund Eldad Stobezki sein Buch „Rutschfeste Badematten und koschere Mangos“. Vom Titel allein schon fasziniert, steckte ich es in meinen Koffer und nahm es zur Buchmesse nach Frankfurt mit. Das hätte ich nicht tun sollen, denn von da an war es spurlos verschwunden. Es war keineswegs unter eine Badematte gerutscht, auch nicht im Hotel auf dem Nachttisch vergessen worden. Ich suchte es überall, es tauchte einfach nicht wieder auf. In meiner Bibliothek war es auch nicht abgeblieben. Ein Jahr lang suchte ich danach. Vergebens!
Diese Alltags-Geschichte, die ich jetzt am Anfang der Rezension erzähle, könnte genauso in diesem Buch stehen, denn wie heißt es so schön im Englischen „shit happens“.


Ein Jahr nach der Buchmesse finde ich diesen Band, den ich so viele Monate lang gesucht habe, zwischen meinen tausend Büchern eingeklemmt in einem Verlagsprospekt von der Frankfurter Buchmesse. Dort hat es sich versteckt, ohne mir einen Ton davon zu sagen. 
Entschuldigung Eldad, diese Rezension kommt also etwas verspätet; nicht etwa, weil ich das Buch schlecht finde, im Gegenteil, ich habe es auf dem Weg zur Buchmesse in Frankfurt in einem Rutsch durchgelesen, geradezu verschlungen  und habe oft gelacht, manchmal nur geschmunzelt aber zuweilen auch manche Träne vergossen. Es sind diese Miniaturen, die du aufgeschrieben hast, die einem im Alltag genau so passieren und die einfach erwähnenswert sind, weil sie so besonders auf uns und in uns wirken. 


In den Überschriften werden sie „Kiesel“ genannt, manchmal kicke ich solche Kieselsteine auf meinem Grundstück in die Ecke, da wo sie hingehören, nur sie fallen immer irgendwo anders hin als gewollt. 
So etwas ähnliches tuen deine Worte offenbar auch. Sie fallen irgendwo hin, aber ins Schwarze treffen sie dabei immer. Ein Beispiel: „Wenn wir von zu Hause weggehen, nehmen wir immer ein Stück Heimat mit“.
In deinen Texten spürt man oft, dass du zwei davon hast. Bei manchen Menschen sind es noch sehr viel mehr Landschaften, die unter dem Begriff Heimat subsumiert werden können. Weil sie als Emigranten mehr Heimat im Herzen haben als ihnen manchmal lieb ist.


Es sind Schmunzelworte, die du da auflistest. Du empfindest dich als „Wortklauber“ – ein Begriff der allgemein leider negativ besetzt ist (klauben wird aber im Ursprung bei Wikipedia als „mit den Fingerspitzen, Nägeln oder Zähnen an etwas herumarbeiten; von der Hülse oder Schale befreien, pflücken, lesen, (aus)sondern, mit Mühe heraussuchen“ bezeichnet. Einigen wir uns auf „mit Mühe heraussuchen“. Das tust du selbst wie eine Biene, die Wörter statt Honig sammelt: Begriffe aus dem Radio, aus Büchern, aufgeschnappt in der U-Bahn und immer wieder staunend darüber, was die deutsche Sprache doch für Spitzfindigkeiten hat. 


Wo liegt bei einem Streik der Lokführer der Unterschied zwischen „Unwägbarkeiten mit „ä“ und „Unwegbarkeiten“ mit „e“.
Du bist froh darüber, dass die Sonderzeichen im Polnischen, Tschechischen, ja sogar im Spanischen immer noch existent sind, denn España, sagst du, hat zurecht immer noch eine Locke auf dem spanischen n. 


Du arbeitest mit einem PC, und angesichts der gecrashten Festplatte kommst du auf die Urform der Keilschrift zurück. Kein upload nötig. 
Deine Gedanken- und Mentalitätssprünge sind faszinierend, auch lustig, etwa wenn du dem Deutschlandfunk und seiner Redaktion Kultur vorwirfst, dass der neue vorgestellte Roman nicht „Kairo“, sondern „Kairos“ heißt. Da hast Du wirklich einen Punkt, wie man es heute so schön formuliert.


Deine Miniaturen setzen sich immer wieder mit Sprache, mit Musik, dem Jüdischsein oder auch der Homosexualität auseinander.

Du fragst die KI was „Kastrati“ sind, wir lassen es hier einmal offen, bitte selber googeln oder KI austesten!


Du gibst Gott die Empfehlung, er hätte besser auf die Arche Noah verzichten sollen, dann hätte es ein besseres „Reset“ der Schöpfung geben können. 


Wir begleiten dich in Buchhandlungen, wo Du mitunter Empfehlungen gibst oder auch an die Aldi-Kasse, wo wir den Aldi-Alltag miterleben. 
In der Tat, das sind interessante geographische und intellektuelle Sprünge. 


Immer ist es die Neugierde, die dich antreibt: Das WissenWollen, und das Ergebnis dann aber auch notieren und festhalten müssen, für deine Freunde oder für dein Buch.


Es geht mir auch so, dass ich mich ungern von Büchern trenne. Mein ganzes Haus ist voll davon, und ich kann kein einziges neues mehr in ein Regal stellen. Verzeih mir also bitte, wenn in diesem Wust dein Büchlein untergegangen ist. Ich werde es nun in Ehren halten und an einem schönen besonderen Platz postieren.


Dieser Tage wollte ich drei Kisten voll aktueller Bücher an Büchereien weitergeben, natürlich ohne etwas dafür zu verlangen, ich will doch nicht an Rezensionsexemplaren etwas verdienen. Alle sagten „um Gottes Willen wir haben keinen Platz dafür“. Die Gefahr besteht also auch weiterhin, dass Bücher sich einfach so davon machen und verschwinden, ohne einen Laut abzugeben. 


Wenn ich das nächste Mal Radieschen einkaufe, werde ich mich an diese kleine Kiesel-Miniatur erinnern, als die Dame sagte, sie möchte sich die Radieschen noch von oben anschauen, als sie Radieschen einkaufte. 
So geht es mir auch, verzeih also bitte, wenn ältere Herrschaften manchmal etwas schusselig mit Büchern umgehen.


Maria Gazzetti, die lange Jahre das Frankfurter Literaturhaus geleitet hat, schreibt über dein Buch im Nachwort, deine Texte seien tagebuchartige, kurze, liebevoll geschriebene Miniaturen aus dem Alltag, aus Lektüren über Radiosendungen, Musik und Opernbesuche, über Politik und das aktuelle katastrophale Weltgeschehen. Genau getroffen!
Ich bin gespannt, wann Du demnächst deinen zweiten Band vorlegst und über den Verrückten aus Washington berichten wirst. Auf diesen Worte-Spaß freue ich mich schon. 

 

Eldad Stobezki Rutschfeste Badematten und koschere Mangos Edition W 
 

 

Trojanow: „Das Buch der Macht. Wie man sie erringt und (nie) wieder loslässt“

Wie Karl Marx schon so treffend spottete: „Geschichte wiederholt sich nicht, es sei denn als Farce“, so gibt es auch den umgekehrten Prozess. Nachzulesen ist er in Ilja Trojanows Satire „Das Buch der Macht.“ In dieser literarischen Prosaadaptation des 1897 entstandenen Großgedichts des bulgarischen Autors Stojan Michailowski „Buch für das bulgarische Volk“ folgt nicht die Farce als Wiederholung der Geschichte, sondern die Gegenwart folgt der geradezu prophetischen Satire, so dass man versucht ist hinzuzufügen: „entstehende Ähnlichkeiten sind rein zufällig“. Ob sie so zufällig wären, werden die Leserin und der Leser geneigt selbst entscheiden. Worum geht’s?


In 15 Tages- und Nachtlektionen enthüllt der Wesir, also der Regierungschef im osmanischen Kalifat, seinem als Nachfolger vorgesehenen Neffen, den er mit orientalischen Koseworten anredet, das Geheimnis der Macht oder, so der Untertitel des Buches, „wie man sie erringt und (nie) wieder loslässt“. Die satirische Unterweisung hat es in sich. Sie fächert nicht nur die vielleicht auch in der muslimischen Welt als Todsünde geltenden menschlichen Unarten als für den Machterhalt unerlässlich auf, sondern fordert dafür auch lässlichere Sünden trotz ihrer Hässlichkeit als notwendig. Der Wesir preist nicht nur Mord und Totschlag, Bestechung und Befriedigung der Eitelkeit, er kommt auf autoritäre Tricks, die einem sämtlich bekannt scheinen. Ein jeder erlebt sie so oder in einer der vielen Varianten in seiner Umgebung. Trojanow verfällt in seinem Remake auf einen genialen Trick. Er teilt sein Buch in zwei unterschiedliche Seiten: Rechts steht in blauen Lettern (man beachte die Farbe!) die Originalsatire vom Machterhalt. Links steht in roten Buchstaben wie eine dialogische Unterbrechung des Redeflusses des Wesirs ein passender Text von Leuten, die dazu etwas zu sagen haben. Z.B. bekennt der Wesir: „In den letzten dreißig Jahren habe ich mit zielstrebiger Beharrlichkeit Gift in das Maul der Öffentlichkeit gegossen, ein Gemisch aus Lügen, Verleumdungen und Unterstellungen“. Daneben stehen Jonathan Swift mit der Sentenz „Die Falschheit fliegt und die Wahrheit kommt hinterhergehinkt; wenn also die Menschen der Täuschung gewahr werden, ist es bereits zu spät.“ Oder Hannah Ahrendt: „Niemand hat je Wahrhaftigkeit zu den politischen Tugenden gerechnet.“
Dem Terrorismus der Macht, in blauer Schrift auf den rechten Seiten, folgen im virtuellen Dialog manche Apologeten der Macht wie der Kronjurist der Nazis Carl Schmitt: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“  Andere widersprechen in roter Schrift auf den linken Seiten, wie z.B. Konstantin Wecker mit seinem Lied „Einen braucht der Mensch zum Treten…“ Heinrich Heine steht auf einer linken, roten Seite mir seinem Gedicht von den „Zuckererbsen für jedermann“. Oder auch Erasmus von Rotterdam mit dem klaren Wort: „Macht ohne Güte ist reine Gewaltherrschaft“. Oder genauso klar der „rote, linksstehende“ Immanuel Kant: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“


So liest sich das Buch auf weißem Papier in bleu-blanc-rouge unterhaltsam. Es ist abwechselnd gebildet und perfide wie eine Satire auf die Gegenwart – geschrieben vor mehr als 100 Jahren. Ein erhellendes Nachwort von Ilija Trojanow zollt dem Dichter der Vorlage, seinem bulgarischen Landsmann Stojan Michailowski und der „evidenten“ Aktualität dessen Großpoems eine treffende literaturgeschichtliche und zeitpolitische Reverenz.

 

Harald Loch


Ilija Trojanow: „Das Buch der Macht. Wie man sie erringt und (nie) wieder loslässt“


Die Andere Bibliothek, Berlin 2025   275 S. Originalausgabe nummeriert (im Schuber) 48 EUR, Extradruck (Hardcover) 26 EUR
 

 

Macht II - Macht im Umbruch - Variante Münkler

Welchen Beitrag kann die Politikwissenschaft zu politischen Entscheidungen leisten? Diese Frage stellt sich bei dem wegweisenden Buch „Macht im Umbruch“ von Herfried Münkler. Es geht ihm um „Deutschlands Rolle in Europa und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“.

 

Zunächst beschreibt er die Gegenwart als das Zusammentreffen der Bedrohungen durch Russland mit dem Rückzug der USA aus der atlantischen Verbundenheit. Er stellt sodann die Gefahren für den Industriestandort Deutschland aus China, starke, durch Populisten beförderte Zentrifugalkräfte in der EU und einen wachsenden Migrationsdruck aus dem Süden neben der immer sichtbarer werdende Klimakrise fest. Er problematisiert den Stand des freiheitlich demokratischen Rechtsstaats und seine Herausforderungen durch den Populismus von rechts und links. Dabei legt er den Finger auf eine von ihm ausgemachte Effizienzwunde – die bremsenden Einspruchsrechte gegen wichtige Infrastrukturprojekte. Ob er damit auch große Teile der Zivilgesellschaft, nicht nur die „Omas gegen rechts“ trifft, lässt er offen.
Die Grenzen Europas behandelt er als „geopolitische Herausforderung“.

 

Das Offenhalten der Grenzen („Wir schaffen das“) hat er mit guter Begründung für notwendig gehalten. Die danach erforderliche Öffentlichkeitsarbeit nach innen und das Einfordern europäischer Solidarität seien dagegen vernachlässigt worden und haben zum Erstarken populistischer Parteien beigetragen. Politische Führung hätte gefehlt; er klagt sie auf allen Ebenen ein und verlangt sie vor allem in und von Deutschland in Europa. Deutschland sei das Land in der Mitte Europas, sein bevölkerungsreichstes und wirtschaftlich stärkstes Land und sei verpflichtet, die politische Führung im Sinne eines „servant leaders“, also einer dienenden Führung anzustreben und einzunehmen. Nicht allein: Münkler stellt sich eine Führungsachse Paris-Berlin-Warschau, ergänzt durch eine Nord-Süd-Achse mit Italien bzw. Spanien und dem Norden, evtl. wieder mit Großbritannien in virtuos zu gestaltender Form vor. Diesem Kerneuropa mit einer innerhalb dieser Gruppe „dienend“ führenden Deutschland, misst er die mehrheitlich gebildete Entscheidungsgewalt über die Außen- und die Verteidigungspolitik Europas zu.

 

Die kleineren Staaten, die mir ihrer Vetomacht wie das Ungarn Orbans zunehmend nerven, könnten für den Verlust ihres Vetorechts „soft entschädigt“ werden, etwa mit größerer Duldung ihrer innerstaatlichen Sonderregelungen. Um den europäischen Führungskern und zweiten Kreis der ihrer Vetomacht beschnittenen, vor allem ostmitteleuropäischen Länder sollte sich ein dritter Ring als „abgeflachte“ Peripherie von Staaten wie die Türkei oder Ländern des Maghreb bzw. Ägypten, an Europa assoziierte Länder gruppieren. Diese Vision in politische Realität umzusetzen könne nur einer starken Führung gelingen. Der Umbau Europas nach diesem Muster würde seine Handlungsfähigkeit stärken, seine Reaktionsgeschwindigkeit vergrößern und auch Kräfte für eine eigene Rolle neben den anderen Akteuren der Weltpolitik freisetzen.


Münkler stellt in Frage, ob in Deutschland der Wille und das politische Personal vorhanden seien, die Risiken und Kosten einer solchen Rolle zu tragen. Voraussetzung dafür sei die wirtschaftliche Erholung aus dem aktuellen Stillstand. Hierfür hält er eine Entbürokratisierung, den Rückbau der Verrechtlichung selbst kleinster unternehmerischer Entscheidungen und einen kräftigen Investitionsschub in die Infrastruktur für notwendig. Hier nennt er vor allem Erneuerung und Ausbau der Schiene, um die Transportwege durch die Mitte Europas den Erfordernissen der Zeit anzupassen.


In wichtigen historischen Rückblicken erinnert er sein Publikum an die Fehler deutscher Politik nach Bismarck, an die Suggestion der „Einkreisung“, die zwei Weltkriege mitverursacht habe und die jetzt larmoyant auch von Russland als Vorwand für seine Expansionspolitik benutzt würde. Vor allem rechnet er mit dem Liebäugeln einiger politischer Akteurinnen und Akteure in Deutschland und anderswo mit einer stärkeren Hinwendung zu Russland aus historischen Gründen ab. Dabei gingen die wichtigsten Werte des „Westens“, wie der freiheitlich demokratische Rechtsstaat, die Pressefreiheit und wesentliche persönliche Freiheitrechte verloren.


Das alles klingt plausibel, selbst wenn man die Führungsvision für vielleicht zu wertkonservativ hält. Alle Argumente basieren aus einer schonungslosen Bestandsaufnahme der Gegenwart und sind im Einzelnen gut belegt. Das Buch liest sich rasant, wenn man die fast apokalyptischen „Drohungen“ beim Nichtbefolgen der von Münkler angeschlagenen Agenda aushält. Das Anmahnen von Dringlichkeit beim Umbau Deutschlands und Europas wird von außen befördert: Trump und Putin blasen uns den Marsch. Wohin er führen kann, zeigt Münkler deutlich, ab: „Es sind große Herausforderungen und gewaltige Aufgaben, die auf die deutsche Politik zukommen, und es ist alles andere als sicher, dass sie diesen Herausforderungen gewachsen sein wird.“


Harald Loch


Herfried Münkler: Macht im Umbruch   
Deutschlands Rolle in Europa und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts
Rowohlt Berlin, 2025   431 Seiten   30 Euro

 

Tanzen - Singen - frei sein: Josephine Baker

Vor 50 Jahren, „am 8. April 1975 stand die 69-jährige Josephine Baker ein letztes Mal auf der Bühne. Vier Tage später erlag sie den Folgen eines Schlaganfalls“, schreibt Mona Horncastle, Kuratorin der großen Ausstellung in der Neuen Nationalgallerie in Berlin, in ihrem Nachwort zu den Memoiren unter dem Titel Das Revival der Josephine Baker. Deren Adoptivsohn Jean-Claude Bouillon-Baker datiert in seinem Vorwort den Beginn dieses Revivals: „Am 30. November 2021, einem Dienstag, sagten Paris und Frankreich ihr nicht »Adieu«, wie 46 Jahre zuvor auf den Stufen der Madeleine, die damals geschmückt war für ein nationales Staatsbegräbnis – sondern begrüßten sie an jener neuen, ewigen Ruhestätte, die sie nun beziehen würde.

 

Die französische Nation ehrte sie und stellte sie damit den großen Wohltätern der Allgemeinheit gleich.“ An diesem Tag kam sie auf Veranlassung des französischen Staatspräsidenten Macron ins Panthéon. Ihr eindrucksvolles Leben erzählt sie selbst zwischen Vor- und Nachwort in ihren Memoiren. Sie wurden in der Absicht geschrieben, ihre Entwicklungen zu bezeugen, sie entstanden allerdings in mehreren Teilen und in großen zeitlichen Abständen.


Ihre Leserinnen und Leser begleiten sie in ihrer Kindheit in St. Louis (Missouri), die sie in ärmlichsten Verhältnissen verbrachte. Sie war ein uneheliches Kind einer afroamerikanischen Waschfrau und eines jüdischen Schlagzeugers. Ihr Vater trennte sich ein Jahr nach ihrer Geburt von der Familie. Sie erinnert sich an ihre Spiele, an ihre Verkleidungen, an die Morgenröte ihrer Talente, an ihre Tierliebe und an ihren Freiheitsdrang. Daraus ergab sich auf wundersame Weise ein erstes Engagement in New York, aus dem eine „Berufung“ nach Paris folgte. Das wurde ihr Lebensmittelpunkt, sie wurde 1937 Französin und verstand ihren späteren Einsatz in der Résistance und in den Forces françaises libres als selbstverständlichen Dank an diese neue Heimat, an die Toleranz und die nicht rassistische Gesellschaft von Paris. Von de Gaulle erhielt sie das Lothringerkreuz für ihren Einsatz als Offizierin der Luftwaffe des Freien Frankreich.


Den größten Teil ihrer Erinnerungen nimmt ihr kometenhafter Aufstieg in Paris zum Star der großen Revuen, der Cabarets ein, bald auch ihres eigenen. Sie lässt ihre Erfolge aufleben, ohne selbstverliebt darin zu schwelgen, spricht zwischendurch von den Gerichten, die sie selbst gern kocht – „Ich habe unstillbaren Appetit“ -  immer wieder von ihren Tieren, von Vögeln, Schlangen, Krokodilbabys. Das alles trifft den persönlichsten Ton eines bescheiden gebliebenen Stars, einer jeden Abend betenden Katholikin, einer großzügigen, ihr Privatleben nicht vermarktenden Frau. Sie bringt den Charleston nach Europa, wird bald über die Grenzen Frankreichs hinaus zum Weltstar. Sie bereist viele Europäische Länder, feiert überall Triumphe. In Berlin hetzt schon der braune Mob gegen sie. Aber Max Reinhard versucht, sie an das deutsche Theater zu binden. Ihr Auftritt in München wird polizeilich untersagt. In Wien läuten sämtliche Glocken bei ihrer Ankunft – nicht zur Begrüßung, sondern um die Gläubigen vor ihr zu warnen. Auch in Schweden gibt es Proteste, bis der König sie empfängt. Überall gelten ihr Tanz und ihre Hautfarbe als „anstößig“ – Rassismus überall.


Eine Tournee in den USA konfrontiert sie mit den dortigen Rassengesetzen und der Schere im Kopf selbst bei den New Yorker Hoteliers, die keine Vermietung an Farbige vornehmen wollen, damit die zahlende Kundschaft aus den Südstaaten nicht ausbleibt. Dramatisch erzählt sie vom Grenzübertritt über die Demarkationslinie zwischen dem de jure Farbige gleichstellenden Osten und dem nach wie vor die Rassentrennung legalisierenden Süden. „no Jews, no dogs, no niggers“, fasst sie ihre unfassbaren, hautnah erinnerten Erlebnisse in den USA zusammen und ist heilfroh, wenn sie wieder in ihrem Paris sein kann. Konsequent schließt sie sich nach Kriegsausbruch der Resistance an, um ihren Beitrag im Kampf gegen Nazideutschland zu leisten und singt und tanzt vor amerikanischen, britischen und französischen Soldaten hinter der Front. Nach Kriegende nimmt sie im zerbombten Berlin an einem onzert mit Künstlern aus allen vier Siegermächten teil. Sie vertritt dabei Frankreich, dem sie im Krieg selbstlos und ohne jedes Honorar gedient hat – jetzt ruht sie im Panthéon.


Harald Loch


Josephine Baker: „Tanzen, Singen Freiheit“ Memoiren
Die beeindruckende Lebensgeschichte der berühmtesten schwarzen Sängerin und Tänzerin
Mit einem Vorwort von Jean-Claude-Bouillon Baker und einer Einleitung von Marcel Sauvage sowie einem Nachwort von Mona Horncastle.
Aus dem Französischen übersetzt von Sabine Reinhardus und Elsbeth Rank
Reclam, Ditzingen 2025   281 S.   26 Euro

 

Literarische Geschmacksprobe: Südtirol

Baden im Kalterer See, Sommerpromenaden durch den Kurort Meran, Skifahren und Wandern im »schönsten Bauwerk der Welt«, den Dolomiten: Südtirol ist ein ganzjähriges Urlaubsparadies…

 

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Wer hat da angefangen?

Wer hat angefangen?

 

Es geht aber um viel mehr in Gaza. „Der Weg aus der Gewalt wird dadurch erschwert, dass sowohl die israelische als auch die palästinensische Gesellschaft schwer traumatisiert sind. Die kollektiven Traumata der Shoa und der Nakba verstärken die aktuellen Leiderfahrungen und lassen kaum Raum für Empathie mit der anderen Seite.“ Das schreibt die Politikwissenschaftlerin und Nahostexpertin Muriel Asseburg in ihrer zeitgeschichtlichen Arbeit „Der 7. Oktober und der Krieg in Gaza“, in der sie den historischen Hintergrund, die Eskalation und die möglichen Folgen untersucht. Vieles ist durch die ausführliche Berichterstattung bekannt. Was fehlte, ist eine die Zusammenhänge berücksichtigende Einordnung, eine kritische Darstellung der Faktenlage, eine von wissenschaftlicher Urteilskraft getragene, naturgemäß vorläufige Würdigung.


Hinsichtlich des Überfalls der Hamas auf Israel liegen die Fakten auf dem Tisch. Sie müssen als völker- und menschenrechtswidrige Verbrechen be- und verurteilt werden. Sie haben ein eklatantes Versagen der israelischen Geheimdienste und der Armee offengelegt und den Krieg des angegriffenen Landes gegen die Hamas nach Gaza getragen. Der hat sich als militärisch komplizierter und in den Augen vieler als fragwürdig erwiesen, weil er praktisch die gesamte auf kleinstem Gebiet zusammenlebende Bevölkerung in Mitleidenschaft zog. Das Wort von einer „Verhältnismäßigkeit“ der Mittel erscheint in diesem Zusammenhang fragwürdig, es sei denn, man hielte das Ziel Israels für nicht gerechtfertigt, nämlich „ein für alle Mal“ die Bedrohung seines Staates und seiner Bürger durch die Hamas auszuschließen. Die Autorin versucht, die Auswirkungen des Krieges auf die Bevölkerung in Gaza anhand des Kampf- und Blockadegeschehens auch kalendarisch nachzuvollziehen. Sie schreibt zwar kein Kriegstagebuch, aber sie ordnet die Vorgänge zu einem auch als Nachschlagewerk nützlichen Buch.

 

Hierzu verwendet sie meist Quellen von der Opferseite. Eine „objektive“ Beurteilung der Fakten wird es vielleicht nie geben – sie wäre naturgemäß wohl immer parteinehmend. Setzt man die Opferzahlen des Überfalls der Hamas zu denen des Krieges in Gaza ins Verhältnis, ergibt das noch keine Antwort auf die „Verhältnismäßigkeit“ der von Israel eingesetzten Mittel. Das sehen große Teile der Weltöffentlichkeit anders, wie Asseburg nachvollziehbar beschreibt. Insofern scheint der Überfall der Hamas vom 7. Oktober zweifach „Erfolg“ gehabt zu haben: Er hat erstens die Palästinenserfrage wieder auf die internationale Tagesordnung gesetzt, und zwar mit höchster Dringlichkeit. Und er hat zweitens zu einem dramatischen Prestigeverlust Israels geführt, dessen Folgen noch gar nicht abzusehen sind.


Asseburg hat in München auch Völkerrecht studiert und diskutier sachkundig auch diese und vor allem die Völkerstrafrechtlichen Fragen. Die Anklagebank ist auf israelischer Seite prominent besetzt. Die Angeklagten der Hamas sind inzwischen tot. Israel vollstreckt ja selbstgefällte Todesurteile durch Militärschläge. Die Autorin untersucht in diesem Zusammenhang auch die Rollen Irans – geschwächt durch die Ausschaltung seiner Luftverteidigung und den Ausfall Syriens aus der „Achse des Widerstands“ – sowie der arabischen Golfstaaten, in vorderster Reihe von Saudi-Arabien. Sie referiert Stimmungsbilder der Bevölkerungen dort, in Israel und in aller Welt und sie beschreibt die vergeblichen Friedensbemühungen der UN, befreundeter und „neutraler“ Staaten. Die Geiseln blieben viel zu lange in Geiselhaft der Hamas und die Bevölkerung von Gaza weiß nicht, wie sie weiterleben soll. Asseburg schreibt kein Buch, das Mut macht, aber sie schreibt genau, was man politisch nicht machen darf. Ob das angesichts der genannten Traumata in den betroffenen Gesellschaften fruchtet?

 

Harald Loch


Muriel Asseburg: Der 7. Oktober und der Krieg in Gaza   Hintergrund, Eskalation, Folgen
C.H.Beck, München 2025   286 Seiten   12 Abb., 5 Karten   20 Euro

 

Hisbollah - inside  und kein Frieden in Sicht

So wird nichts draus! Kein Frieden ist zwischen der Hisbollah und Israel in Sicht, weil die Voraussetzungen dafür fehlen. Der 1960 in Haifa geborene deutsche Historiker und Nahostexperte Joseph Croitoru hat in seiner weit in die Geschichte zurückgehenden Analyse „Die Hisbollah. Irans Schattenarmee vor den Toren Israels“ die Ursachen für diese düstere Prognose herausgearbeitet.

 

Die Hisbollah ist eine schiitische Organisation, die in Libanon über Macht und bestimmenden Einfluss verfügt. Der Autor arbeitet noch einmal die immer wieder auch gewaltsam eskalierende Rivalität zwischen den sunnitischen und schiitischen Konfessionen der Muslime hervor. Libanon ist historisch ein multikonfessioneller Staat mit einer Proporzverfassung, die das Machtgefüge zwischen den orthodoxen und katholischen Christen sowie den konkurrierenden sunnitischen und schiitischen Muslimen immer wieder neu und nie nachhaltig genug austariert.  Zentrum der aggressiven schiitischen Machtentfaltung in Nahost ist Iran, Schutzmacht und Finanzier der Hisbollah in Libanon. Mit Mitteln, die wie ein Marshallplan wirken, unterstützt das Regime Irans die Hisbollah und zahlt für deren soziale, militärische und religiöse Aktivitäten, die sie bei der Bevölkerung attraktiv erscheinen lassen.

 

Wie tief die Hisbollah im Bewusstsein der inzwischen die Mehrheit bildenden Schiiten verankert ist, zeigt Croitoru anhand der erschreckenden Indoktrinierung der Jugend in den von Iran finanzierten Schulen. In ihnen gehören der militante Hass auf Israel und Amerika, eine Propaganda der Gewalt und die Heroisierung von Märtyrern zu den Grund- und Leistungskursen der Schülerinnen und Schüler. Die Vernichtung Israels, die Rückeroberung Jerusalems und der Hass auf Juden überhaupt stehen in diesen oft einzigen funktionierenden Schulen im Mittelpunkt des Unterrichts.


Befeuert wird diese mörderische Ideologie durch die Vergeltungsschläge Israels vor allem im grenznahen Süden Libanons. Mit erstaunlicher Objektivität zählt der Autor die Opfer und Gebäudeschäden sowie die innerlibanesischen Fluchtbewegungen von Hunderttausenden in den Norden des Landes auf, die diese gezielten Schläge anrichten. Die führen zu Gegenattacken begrenzter, aber politischer Wirkung auf Israel, immer begleitet von Propagandalawinen Irans.

 

Seit dem Kampf Israels gegen die Hamas in Gaza zeichnet sich immer stärker ein ideologischer Schulterschluss der Hisbollah mit den Palästinensern und der sunnitischen Front gegen Israel ab. Der Machtwechsel in Syrien hat die strategische Lage dort bis auf Weiteres verändert, weil der Zustrom von iranischen und russischen Waffen über Syrien zur Hisbollah in Libanon unterbunden wurde. Die Schläge Israels gegen die Kommandostruktur der Hisbollah haben deren militärische Kapazitäten vorerst stark dezimiert. Aber das ist keine Voraussetzung für Frieden, sondern ein dauernd wirkender Keim für Racheideologien, die schon der nächsten Generation in den schiitischen Schulen eingeimpft werden.


Immerhin hat es in der aktuellen Entwicklung einen auch vom Autor beschriebenen Hoffnungsschimmer gegeben: „Am 27. November 2024 trat nach wochenlangen Verhandlungen unter amerikanischer und französischer Vermittlung der Waffen [1]stillstand zwischen Libanon und Israel in Kraft, dem auch die Hisbollah zustimmte. Dass den libanesischen Streitkräften die von ihnen erwartete Entfernung aller nicht autorisierter Waffen in dieser Zone gelingt, wird ebenso bezweifelt wie die Fähigkeit der libanesischen Regierung, die an sie gestellten Forderungen zu erfüllen. Sie soll nicht nur die «Wiederherstellung und Aufrüstung nichtstaatlicher bewaffneter Gruppen in Libanon» verhindern, sondern auch Verkauf, Lieferung und Produktion von «Waffen und damit zusammenhängendem Material» im Land regeln und kontrollieren. Einem internationalen Gremium unter der Führung der USA und Frankreichs obliegt es, neben UNIFFIL die Einhaltung des Waffenstillstands zu überwachen. Dass das Abkommen keine ausdrückliche Forderung nach einer Entwaffnung der Schiiten-Miliz, die sich wieder einmal als Kriegsgewinnerin inszenierte, enthielt, wurde von ihr als Sieg gefeiert.

 

Ein weiterer Triumph war für Hisbollah-Generalsekretär Naim Qassim, dass Israel nun gezwungen sei, sich aus dem Südlibanon zurückzuziehen. Aus diesen Gründen wurde die Waffenstillstandsvereinbarung in Israel eher mit Skepsis aufgenommen, weshalb sich Ministerpräsident Benjamin Netanjahu veranlasst sah, sie in seiner einschlägigen Erklärung in auffallender Ausführlichkeit zu rechtfertigen. Seine gleichzeitige Drohung, Israel werde auf jede Nichteinhaltung der Feuerpause «energisch reagieren», wurde denn auch rasch in den folgenden Tagen und Wochen mit zahlreichen Luftangriffen in die Tat umgesetzt.“


Wenn Iran und die Hisbollah nicht die Vernichtung Israels von ihrer To-Do-Liste nehmen, wird aus dem brüchigen Waffenstillstand kein Frieden entstehen.


Harald Loch


Joseph Croitoru: Die Hisbollah. Irans Schattenarmee vor den Toren Israels
C.H.Beck, München 2025   183 Seiten   2 farb. Karten    18 Euro

 

Sieger - Verlierer - und der Frieden?

Es ist wieder Krieg in Europa. Und längst geht es nicht mehr um die Frage, ob wir involviert sind, sondern um das Wie. Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist die westliche Friedensarchitektur zusammengebrochen. Aber gab es sie denn jemals? Politiker Deutschlands, der USA, der NATO und die Leitmedien erklären unisono, in der Ukraine werde unsere Freiheit verteidigt, deshalb müsse sie siegreich aus dem aufgezwungenen Krieg hervorgehen. Aber geht das überhaupt? Erfüllt unsere Antwort mit Wirtschaftskrieg und Waffenlieferungen den beabsichtigten Zweck?  Sind Verhandlungen geeigneter, den Krieg zu beenden?  Börne-Preisträgerin Daniela Dahn präsentiert neue Texte zum Krieg in der Ukraine und solche aus der unmittelbaren Zeit davor: über seine Vorgeschichte, den Maidan, die russischen und die westlichen Positionen. Sie zeigt, dass der Westen Teil des Problems ist und die UNO gestärkt werden muss. Und sie wendet sich gegen Denkverbote:  „Wer den Opfern helfen will, sollte die Genesis von Krisen und Kriegen zur Kenntnis nehmen.“

rororo

 

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Neues Literaturhaus im Museum Finsterau

Verein


Literaturhaus DichterWald e.V. engagiert sich grenzübergreifend für historische und zeitgenössische Literatur, bietet Bildungsveranstaltungen an, Symposien, Schreibworkshops und Lesungen regionaler und überregionaler Autoren. Unterstützt wird der Verein dabei von Journalisten, Autoren und interessierten Kulturschaffenden.

Standort: inmitten der dichten Wälder des Bayer- und Böhmerwaldes – fruchtbarer Nährboden für jegliche Art von Literatur –  im Geburtshaus des Schriftstellers Paul Friedl, Freilichtmuseum Finsterau (Lkrs. Freyung-Grafenau).

 

Literaturhaus DichterWald e.V. organisiert von hier aus literarische Programme für Kinder, Jugendliche und Erwachsene

 

Karl-Heinz Reimeier
1. Vorsitzender


Alexandra von Poschinger
2. Vorsitzende

Mitglied werden im Förderverein dichterwald.ev
ldw-mitgliedsantrag-2024.pdf
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Impressionen vor der Eröffnung

Putins Gift

Cyberangriffe, Giftanschläge, Desinformationskampagnen: Die Attacken auf Europas liberale Demokratien sind längst keine abstrakte Gefahr mehr, sondern Realität. Das russische Regime führt diesen Kampf erbittert. Die Bestseller-Autoren und Ortskenner Gesine Dornblüth und Thomas Franke entlarven, wie perfide Russland dabei vorgeht: in Armenien, Georgien, der Ukraine, den baltischen Staaten und Zentralasien, aber auch in den USA und der EU.


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Julian Hans                   Kinder der Gewalt 


Woher kommt die ungeheuere Brutalität, mit der die russischen Soldaten in der Ukraine morden, plündern und vergewaltigen? Warum wehren sich so wenige Russen gegen den Krieg? Julian Hans, der langjährige Moskau-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, macht anhand von fünf spektakulären Verbrechen sichtbar, wie sich Gewalt und Erniedrigung in das Leben der Menschen gefressen haben.
(CH Beck)

 

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Nachdenken über Russland -                            Im Widerschein des Krieges

Kaum jemand hat in den vergangenen Jahrzehnten das deutsch-russische Geflecht aus historischen Erfahrungen, machtpolitischen Interessen und ideologischen Fieberträumen intensiver erforscht als Gerd Koenen. Im Widerschein des neuen Krieges, der viele alte Fragen wieder aufwirft, begibt er sich auf eine Spurensuche, die uns von der zynischen Partnerschaft in der Zeit des Hitler-Stalin-Paktes bis zur Freund-Feind-Propaganda unserer Tage und von den Gründern von «Memorial» bis zu den Spin Doctors Putins führt.
Was hat Putin und die um ihn gescharte oligarchische Machtelite dazu getrieben, einen ebenso mörderischen wie selbstzerstörerischen Angriffskrieg zu beginnen? Welche langfristigen Ziele verfolgt Russland? Und warum hat sich zwischen ihm und seinen westlichen Nachbarn erneut ein tödliches Spannungsfeld aufgebaut, das ganz Europa in eine Gefahrenzone verwandelt? In seinem neuen Buch bündelt Gerd Koenen sein jahrzehntelanges Nachdenken über Russland zu einer ebenso differenzierten wie schonungslosen Bilanz. (CH Beck)

 

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Russland - der Fluch des Imperiums

Russlands imperiale Vergangenheit ist der Schlüssel, um Putins Überfall auf die Ukraine und seine antiwestlichen Obsessionen zu verstehen. Der renommierte Osteuropa-Historiker Martin Schulze Wessel stellt den Krieg in den langen Kontext der russischen Expansion nach Westen und beschreibt, wie das Ausgreifen in die Ukraine und die Teilung Polens seit dem 18. Jahrhundert einen Irrweg in der russischen Geschichte begründeten, der als "Fluch des Imperiums" bis heute fortwirkt. Dabei zeigt er, wie eine fatale Ideenwelt entstehen konnte, die noch im 21. Jahrhundert in den Köpfen der Moskauer Führung spukt. Deutschland hat sich nach 1945 von seinem Fluch des Imperiums befreit und sich in Richtung Westen geöffnet. Russland steht dieser Weg noch bevor.


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RUSSLAND ein Blick ins Innere

Die beiden Moskau-Korrespondenten arbeiten während einer „Spezialoperation“, aber ureigentlich befinden sie sich konkret in einem Krieg. Ihre Aufgabe ist die Berichterstattung für Hörfunk und Fernsehen aus Moskau in Richtung Österreich zu leisten. Für den Hörfunk und das Fernsehen. Die beiden Korrespondenten erzählen in ihrem neuen Buch vom Leben der Menschen unter Kriegsbedingungen. Ein am konkreten Alltag orientiertes Bild wird gezeichnet. Sie schreiben vom Kriegsbeginn an, was sie Tag für Tag erleben, wen sie treffen, wie die Menschen die Geschehnisse einschätzen. Die beiden Buchautoren empfinden sich nicht als Kriegs-Berichterstatter, denn Sie sind nicht in den Schützengräben in der Ukraine unterwegs.  Das Buch ist eine anschauliche Innenansicht Russlands. Da geht ein Land als Aggressor in die Weltgeschichte ein, und wir sind Augen- und Ohrenzeuge. Der Leser erfährt auch sehr hautnah, was es heißt unter der Zensur zu arbeiten und wie es dennoch gelingen kann, eine kritische Haltung zu bewahren. Lehrreich, wie die russische Bürokratie die Journalisten bei der Einreise an den Flughäfen drangsaliert, wie subkutan Einfluss genommen wird. 


Beide Korrespondenten wechseln sich als Kapitel-Autoren ab. Sie besuchen auch die Provinz, um ein Bild jenseits der Kapitale Moskau oder Leningrad zu zeichnen. Wir erfahren vom Grauen in Mariupol, vom Kaltstellen der Opposition, vom Innenleben der Wagner-Söldnertruppen. Vom Ende der Meinungs- und Redefreiheit, von einer tief gespaltenen Gesellschaft. 


Im Nachwort werden die Autoren in der in einem Nachwort am Ende dann doch gebotenen Kürze politisch. Sie sprechen von der Unvorhersehbarkeit der Lage, und von der Schuldfrage, die eines Tages gestellt werden wird. Die Stärke des Buches ist die Nähe zu den Menschen und deren Schicksal, die Schwäche, die politische Analyse fällt mehr als knapp aus, aber vielleicht war ja genau das gewollt.


Paul Krisai/Miriam Beller RUSSLAND VON INNEN Leben in Zeiten des Krieges Zsolnay

 

Paul Krisai wurde 1994 in Mödling bei Wien geboren und studierte Journalismus in Graz und Sankt Petersburg. Seit 2019 ist er Korrespondent im ORF-Büro Moskau, das er seit 2021 leitet. 2022 wurde er mit dem Robert-Hochner-Sonderpreis ausgezeichnet und zu Österreichs Journalisten des Jahres gewählt.

 

Miriam Beller, geboren 1988 in Vorarlberg, hat in Wien und Irland Internationale Entwicklung studiert, absolvierte anschließend die ORF-Akademie und berichtet seit 2021 als Korrespondentin für den ORF aus Moskau. 2022 wurde sie mit dem Robert-Hochner-Sonderpreis ausgezeichnet.

 

Schon 2007 erschienen

Der kaukasische Teufelskreis - ein Russlandbuch

Erich Follath Matthias Schepp Gasprom - Der Konzern des Zaren in: 
Norbert Schreiber (Hg.): Russland. Der Kaukasische Teufelskreis oder Die lupenreine Demokratie Wieser Verlag Klagenfurt 2007 zuerst veröffentlicht in DER SPIEGEL. 


Die Welt weiß viel über Exxon Mobil, General Electric, Toyota, Microsoft, die anderen Big Shots unter den Großunternehmen der Welt; sie weiß aber zu wenig über Gasprom. Was für ein Konzern ist das, dessen Börsenkapitalisierung zwischenzeitlich 290 Milliarden Dollar überstiegen hat, dessen gegenwärtiger Marktwert höher ist als das Bruttosozialprodukt von 165 der 192 in der UNO vertretenen Nationen? Wie tickt ein Unternehmen, das ein Sechstel der weltweiten Erdgasreserven kontrolliert und mit einem Fingerschnipsen die Energiezufuhr nach Westeuropa unterbrechen, unsere Wohnungen erkalten lassen kann?
Die Gasprom-Story hat Helden und Halunken; sie spielt in den überheizten Politiker-Hinterzimmern von Moskau wie in der Eiseskälte von Sibirien, in den von Erpressung bedrohten Pipeline-Transitländern Ukraine, Weißrussland und Armenien, »auf Schalke« im Ruhrgebiet der Malocher, wie auch im Schweizer Millionärssteuerparadies Zug und in Sotschi am Schwarzen Meer, Putins zweiter Sehnsuchtsstadt, wo er mit den ebenfalls von Gasprom finanzierten Olympischen Spielen sein Lebenswerk krönen will. (…)


Weltmacht Gasprom, Europas wertvollster Kon¬zern, Putins Schwert: Auf dem großen Bildschirm im Kontrollzentrum kann mühelos die weltweite Expansion des Kraken besichtigt werden, dessen Fangarme in alle Richtungen zuschlagen. Hier voll¬zieht sie sich zivilisiert, geräuschlos. Hier sind die wütenden Proteste der Regierungen nicht zu hören, für die die Gaspreise auf Weltmarktniveau angehoben werden, weil Gasprom Geld braucht. Oder weil der Kreml Staaten bestraft, die sich wie die Ukraine und Georgien von Moskau ab- und der NATO und der EU zuwenden. Hierher dringen keine Debatten vor über die zwischen den Herren Putin und Schröder abgesprochene Ostsee-Pipeline, den Ärger der Polen und Balten. Ungefähr in der Mitte der Europakarte blinkt die Pumpstation Kurskaja auf; von dort drehte Gasprom der Ukraine Neujahr 2006 das Gas ab. Moskau hatte den Preis zunächst verdreifacht; die Verhandlungen mit Kiew drohten zu scheitern. Man einigte sich schließlich auf fast das Doppelte. Im Januar 2007 wiederholte sich in Weißrussland das Spiel; tagelang stoppte Russland den Öl-Fluss. Wie¬der wurde den Westeuropäern bewusst, dass Gas und Öl für den Kreml auch politische Waffen sind. Schon heute versorgt Gasprom rund 30 europäische Länder. Estland und die Slowakei hängen zu 100 Prozent am Gas aus dem Osten, Griechenland zu 80, Polen zu 60 und die Bundesrepublik Deutschland zu 36 Prozent.“